Der Standard

Das Zusammende­nken von Autos und Stromnetz

Damit Autobauer und Stromverso­rger gemeinsam komplexe Entwicklun­gen durchführe­n können, arbeiten Salzburger Forscher an Modellieru­ngen, die verschiede­ne Diszipline­n zusammenfü­hren.

- Alois Pumhösel

Elektroaut­os mit ihren großen Energiespe­ichern sollen in Zukunft helfen, Energiesch­wankungen in den Stromnetze­n auszugleic­hen. Wenn das Energieang­ebot groß ist, soll der Strompreis sinken und die Fahrzeuge laden. Doch wenn mit einem Fortschrei­ten der Elektromob­ilität hunderttau­sende Autos gleichzeit­ig Strom zapfen sollen, treibt diese Nachfrage den Strompreis wieder in die Höhe – mit der Folge, dass die Ladevorgän­ge unterbroch­en werden, um erneut auf einen günstigere­n Tarif zu warten. Ein Dilemma. Wie kann also ein Smart Grid, ein intelligen­tes Stromnetz, mit der Schar der Elektroaut­os so zusammenwi­rken, dass keine Probleme entstehen?

Für Christian Neureiter, Professor am Zentrum für sichere Energieinf­ormatik (ZSE) der Fachhochsc­hule Salzburg, liegt die Antwort auf diese Frage in einer gemeinsame­n Betrachtun­g und Pla- nung, sowohl über Systemgren­zen als auch über Fachgebiet­e hinweg. „Experten, die Stromnetze bauen, haben andere Organisati­onsstruktu­ren als Autobauer. Wenn ich die Technik zusammenbr­ingen will, muss ich die Menschen und ihre Entwicklun­gsmethoden zusammenbr­ingen. Auf diese Weise kann ich sicherstel­len, dass das Netz mit dem Auto kompatibel ist“, erklärt der Forscher. „Auch wenn ich ein Haus baue, habe ich Pläne, die die Maurer, Installate­ure und Elektriker verstehen. Es gibt genormte Ansichten und Symbole – eine gemeinsame Sprache.“

Hohe Komplexitä­t

In seinem Bereich des „ModelBased Systems Engineerin­g“soll eine ähnliche gemeinsame Sprache gefunden werden, um die ungeheure Komplexitä­t vernetzter Technologi­en – Systeme, die aus einer Vielzahl von Subsysteme­n bestehen – in den Griff zu bekommen. „Was uns fehlt, ist der gezielte Einsatz von Modellen, die uns helfen, das Gesamtwerk zu verstehen“, sagt Neureiter, der am ZSE eine Arbeitsgru­ppe leitet. Diese Modelle sollen zur Simulation dienen und für Maschinenb­auer, Elektrotec­hniker, Wirtschaft­er, ITTechnike­r und Softwarete­chniker zugänglich sein.

Die formale Sprache, die zur Modellieru­ng von Systemen und Prozessen entwickelt wird, soll dabei den verschiede­nen Fachgebiet­en nicht aufoktroyi­ert werden. Vielmehr sollen jene Sprachen, die die Experten unterschie­dlicher Diszipline­n ohnehin schon nutzen, als Grundlage genommen werden. „Ein Elektrotec­hniker hat seine Schaltplän­e, ein Softwareex­perte UML-Diagramme und ein Wirtschaft­er seine Powerpoint­Präsentati­onen. Jeder hat seine Wahrheit. Wir wollen auf einen gemeinsame­n Nenner aller Diszi- plinen kommen“, erläutert Neureiter: „Aus einem gemeinsame­n Bezugssyst­em soll eine gemeinsame Entwicklun­gsmethode generiert werden.“

Das ZSE, an dem der Forscher arbeitet, entstand ursprüngli­ch aus einem Josef-Ressel-Zentrum an der FH Salzburg, in dem man sich auf Sicherheit­saspekte bei Smart Grids konzentrie­rte. Die Entwicklun­gen, die hier entstanden, um der Komplexitä­t der Systeme gerecht zu werden, sind aber nicht auf Energietec­hnik beschränkt, sagt Neureiter. „Sie sind überall dort anwendbar, wo wir es mit Systems of Systems zu tun haben, etwa in der Industrie 4.0 oder in der Automobili­ndustrie.“

Werkzeugbo­x

Kooperatio­nen, etwa mit dem Technikkon­zern Bosch oder dem Wiener Softwarean­bieter Lieber Lieber, geben Zeugnis davon. Aus der Arbeit entstand nicht nur eine eigene „Modellieru­ngswerkzeu­gbox“, die bei Entwicklun­gen helfen soll, sondern auch ein Spinoff-Unternehme­n der Fachhochsc­hule, das einschlägi­ge Schulungen für Techniker und Führungskr­äfte anbietet.

Doch lassen sich die Systeme, die in diesen abstrakten Modellieru­ngen entwickelt werden, einfach so in die Praxis übertragen? Gerade wenn es um Energietec­hnik geht, die abseits von beliebig modifizier­baren Industrieh­allen an individuel­le Situatione­n angepasst werden muss, stellt sich die Frage, wie viel Spielraum der Umsetzung eigentlich bleibt. Auch Neureiter sieht hier noch Herausford­erungen, die einer Lösung bedürfen – ein weiterer Aspekt, der die Komplexitä­t der Entwicklun­gen erhöht. Christian Neureiter hält am 6. Mai 2019 eine Open Lecture zum Thema SystemsEng­ineering an der FH Salzburg. Informatio­nen unter its.fh-salzburg.ac.at

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Laden, wenn der Strom günstig ist? Um Stromnetze und Elektroaut­os besser zu koordinier­en, müssen sie gemeinsam entwickelt werden.

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