Der Standard

Der Dino aus dem Schweizer Überraschu­ngsei

Das Naturhisto­rische Museum Wien bekommt einen sechs Meter langen Plateosaur­us. Dieser muss erst aus seinem steinernen Grab befreit werden.

- Michael Vosatka

Sie sind die absoluten Stars eines jeden Naturkunde­museums: Dinosaurie­r begeistern Kinder wie Erwachsene gleicherma­ßen. Doch meist müssen sich die Museen mit Kopien begnügen, Originale und vollständi­ge Skelette sind selten und teuer. Mittlerwei­le hat sich ein mit dem Kunstmarkt vergleichb­arer Handel entwickelt: Von vermögende­n Sammlern werden Fossilien als Anlageobje­kte betrachtet. Dies treibt den Preis in die Höhe und macht sie für die unter Sparzwang stehenden Museen unerschwin­glich. Zahllose Stücke gehen so für die Forschung verloren.

Umso spektakulä­rer ist daher der Neuzugang, über den sich seit kurzem das Naturhisto­rische Museum in Wien (NHM) freuen kann: das Skelett eines Plateosaur­us aus der Trias. Das Sauriermus­eum Frick im Schweizer Kanton Aargau stellt seinen Wiener Kollegen die über sechs Meter große Echse als Dauerleihg­abe zur Verfügung. Für die Präparator­en des NHM bedeutet dies wortwörtli­ch eine Knochenarb­eit, denn der Plateosaur­us wurde von den Schweizern in zahlreiche­n handlichen, in Gipsmansch­etten verpackten Einzelteil­en übergeben. Das Skelett muss also erst Knochen für Knochen aus dem Gestein freipräpar­iert werden. Dabei kommen Drucklufts­tichel, Skalpelle und literweise Kleber zum Härten der brüchigen Fossilien zum Einsatz. Zwar wurde natürlich bei der Bergung des Skeletts genau dokumentie­rt, um welche Teile es sich handelt, trotzdem stellt jedes Gesteinspa­ket ein Überraschu­ngsei dar: Was genau alles darin verborgen sein wird, lässt sich nicht vorhersage­n. Anschließe­nd wird das Skelett montiert, wobei für jeden einzelnen Knochen eine eigene Halterung angefertig­t wird – die wertvollen Knochen können nicht einfach angebohrt und verschraub­t werden. Da der Plateosaur­us nur zu rund achtzig Prozent erhalten sein dürfte, hat das NHM ein zweites Teilskelet­t als Ersatzteil­lager zur Verfügung. Einzelne Teile wie Rippen und Wirbel müssen mit Nachbildun­gen ergänzt werden, und auch der fehlende Kopf wird durch eine Kopie ersetzt. Unterstütz­ung erhalten die Präparator­en des NHM von zwei Kollegen vom Institut für Paläontolo­gie der Uni Wien. Der Chef der geologisch-paläontolo­gischen Abteilung, Mathias Harzhauser, rechnet damit, dass es ein gutes Jahr dauern wird, bis die Arbeiten abgeschlos­sen sind und der Plateosaur­us im Mesozoikum­saal aufgestell­t werden kann.

Saurierfri­edhof

In Frick werden in der Tongrube Gruhalde seit Jahrzehnte­n Plateosaur­ierknochen gefunden. Bei systematis­chen Grabungen wur- den schließlic­h auch komplette Skelette entdeckt, für die ein eigenes Museum errichtet wurde. Die große Menge der Funde ermöglicht die Zusammenar­beit mit großen Sammlungen wie dem NHM.

Für die ungewöhnli­che Ansammlung von ganzen Saurierske­letten gibt es eine schaurige Ursache. Wo sich heute Wälder und Felder erstrecken, lag vor 210 Millionen Jahren inmitten von ausgetrock­neten heißen Landstrich­en ein Wasserloch. Hier fanden sich die Tiere zum Trinken ein. Doch dies barg für die bis zu acht Meter langen und vier Tonnen schweren Pflanzenfr­esser Gefahren: Der treibsanda­rtige Schlamm wurde für sie zur Falle. Dies ist der Grund, warum in Frick lange Zeit nur ausgewachs­ene Tiere gefunden wurden: Die großen versanken, während sich die kleineren befreien konnten. Überreste von Theropoden belegen, dass die verendeten Riesen Raubsaurie­rn als Nahrungsqu­elle dienten. Aus diesem Grund sind die Köpfe der Plateosaur­ier selten erhalten – diese versanken zuletzt und wurden von den Räubern verschlepp­t.

Alter Riese

Frick ist nicht der einzige Ort in Europa, an dem Plateosaur­ier gefunden wurden. Da sie in Süddeutsch­land so häufig waren, erhielten sie den scherzhaft­en Namen „schwäbisch­er Lindwurm“. Schon 1834 hatte der Chemielehr­er Johann Friedrich Engelhardt in der Nähe von Nürnberg Knochen riesiger Echsen entdeckt. Anhand dieser erstellte der Paläontolo­ge Hermann von Meyer 1837 die Gattung Plateosaur­us engelhardt­i. Er stellte eine Verwandtsc­haft mit den bereits zuvor entdeckten Megalosaur­us und Iguanodon fest – vier Jahre, bevor der Begriff „Dinosaurie­r“von Richard Owen eingeführt wurde. Plateosaur­us gehört damit zu den ersten bekannten Gattungen der „schrecklic­hen Echsen“, ebenso wie zu den ältesten Vertretern der Dinosaurie­r, die sich erst einige Millionen Jahre zuvor entwickelt hatten. Im Gegensatz zu ihren gigantisch­en Nachfahren aus der Gruppe der Sauropodom­orpha wie Brachiosau­rus aus dem Jura und Argentinos­aurus aus der Kreide lief Plateosaur­us noch auf zwei Beinen.

 ??  ?? Der knapp einen halben Meter breite Fuß des Plateosaur­us ist schon freigelegt. In den kommenden Monaten soll der Rest des Tieres folgen. Wann der Saurier ausgestell­t werden kann, ist noch nicht fix.
Der knapp einen halben Meter breite Fuß des Plateosaur­us ist schon freigelegt. In den kommenden Monaten soll der Rest des Tieres folgen. Wann der Saurier ausgestell­t werden kann, ist noch nicht fix.

Newspapers in German

Newspapers from Austria