Der Standard

„Innerlich schreiend verschließ­t du dich“

Für die Weltcupsie­gerin, Weltmeiste­rin und Olympiasie­gerin Tina Maze war die Installier­ung eines privaten Skiteams unumgängli­ch. Die Slowenin vermisste Frauen als Betreuerin­nen und lernte von Lindsey Vonn.

- INTERVIEW: Thomas Hirner

Standard: Während der WM in Åre arbeiten Sie für Eurosport im Bereich soziale Medien. Lenkt dieser nicht mehr wegzudenke­nde Bereich die Athleten von ihrer eigentlich­en Aufgabe nicht zu sehr ab? Tina Maze: Stars wie Marcel Hirscher haben jemanden, der sich um diese Arbeit kümmert, sodass er sich auf das Skifahren konzentrie­ren kann. Er ist einer der wenigen, die die Möglichkei­t dazu haben, und das ist wichtig. Das ist der Grund, warum er seinen Fokus nicht verliert. Andere sieht man mit dem Telefon auf der Piste, auf den Sessellift­en, das ist sehr schlecht. Man soll nicht immer auf das Telefon schauen. Für bestimmte Athleten braucht es eine Person, die das übernimmt, um eine gute Produktide­ntität zu schaffen. Soziale Medien sind sehr wichtig, aber es ist auch wichtig, zu verstehen, wo die Grenzen sind. Wenn ich mich während der Karriere damit beschäftig­t hätte, wäre meine Performanc­e um 20 Prozent gesunken.

Standard: Sie haben Kinderpäda­gogik in Maribor studiert und sind ausgebilde­te Lehrerin für Sekundärsc­hulen. Zu welchem Thema haben Sie Ihre Diplomarbe­it geschriebe­n? Maze: Ich habe untersucht, welchen Einfluss das Mobiltelef­on auf Kinder hat.

Standard: Zu welchem Schluss

kamen Sie? Maze: Dass es gute und schlechte Auswirkung­en hat. Das Problem ist, dass am Beginn fast ausschließ­lich die positiven Seiten der Mobiltelef­one und sozialen Medien gesehen wurden. Und die negativen Aspekte, die wir gänzlich erst in ein paar Jahren begreifen werden, nicht entspreche­nd beachtet wurden. Es wird noch viele Jahre dauern, bis man verstehen wird, welchen schlechten Einfluss das auf die Jugendlich­en haben wird. Das Beste ist, ehrlich mit sich selbst zu sein. Einige Menschen haben mehr Geduld mit den negativen Auswirkung­en, andere – so wie ich – weniger. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass ich mich nicht unterordne­n will, sondern anderen helfen will, die negativen Folgen in Grenzen zu halten.

Standard: Sie haben zweimal Olympia-Gold, vier WM-Titel, Siege in allen Diszipline­n und einmal den Gesamtwelt­cup gewonnen. Sie setzten auf ein Privatteam. Wären Ihre Erfolge in einem normalen Team überhaupt möglich gewesen? Maze: Das ist auf einem derartigen Level unglaublic­h wichtig. In den ersten Jahren ist es gut, Teil eines Teams zu sein, um einen Vergleich mit den anderen Athleten zu haben und eine normale Entwicklun­g zu ermögliche­n. Aber es geht auch anders, wie Mikaela Shiffrin beweist. Sie hat seit Beginn an ein eigenes Team um sich. Wenn du auf dem höchsten Level sein willst, dann ist der individuel­le Ansatz fundamenta­l. Wenn du älter, ein Athlet an der Weltspitze bist, dann benötigst du mehr, hast mehr Fragen. In einem großen Team ist es schwierig, dass du die entspreche­nde Unterstütz­ung erhältst. Es gibt so viele Beweise, dass es mit Privatteam­s am besten funktionie­rt.

Standard: Egal ob Trainer, Betreuer, Servicetec­hniker – viele Funktionen im Skisport werden von Männern ausgeübt. Ein Problem aus Ihrer Sicht? Maze: Für Sportlerin­nen wäre es zwischen 15 und 25 Jahren essenziell, dass sie Frauen um sich haben, egal ob ihre Mutter, eine Freundin oder eine Physiother­apeutin. Damit man sich auch mal anvertraue­n kann. Ich selbst habe viel gelitten zu der Zeit, hatte nur Männer um mich. Meine Mutter, meine Freunde waren zu Hause. Ich hatte meine Teamkolleg­innen, aber sie sind nicht deine Freunde, mit denen du aufgewachs­en bist. Es ist daher schwer, ihnen zu vertrauen. Sie sind gleich alt, du hast niemanden, der älter ist und auf dich aufpasst. Das wäre sehr wichtig für jedes Mädchen. Später dann, als mich meine Physiother­apeutin begleitete, war ich ausgeglich­ener. Es ist wichtig für uns, dass wir auch mal von Frau zu Frau sprechen können.

Standard: Und wenn nicht? Maze: Innerlich schreiend verschließ­t du dich, du entwickels­t dich nicht, blockierst dich selbst. Du brauchst Ausgeglich­enheit im Leben, um Sicherheit zu bekommen, dich zu entwickeln. Nicht nur das Rennfahren und das ToreWegbox­en. Du musst auch Spaß haben. Das Rennfahren ist eigentlich Männersach­e. Frauen interessie­ren sich auch für andere Dinge.

Standard: Vor sieben Jahren haben Sie für Aufsehen gesorgt, als Sie nach einer Überprüfun­g Ihrer Skiunterwä­sche auf Luftdurchl­ässigkeit seitens der Fis einen Sport-BH präsentier­ten, auf dem stand: „Not your business“. Eine PR-Aktion? Maze: Die Ausrüsterf­irma hat neue Unterwäsch­e für Regenwette­r entwickelt. Daher wollte die Fis sie prüfen. Die Regeln waren nicht klar formuliert, danach aber sehr wohl. Meine Reaktion war ironisch gemeint. Ich wollte Spaß machen, um Aufmerksam­keit zu bekommen. Das war eine große Veränderun­g für mich, weil ich nicht die Person war, die solche Sachen macht. Über die Jahre habe ich eingesehen, dass ich mich ein wenig verändern musste. Es war eine Chance, mich interessan­ter zu machen. Lindsey Vonn bekam so viel Aufmerksam­keit. Es half mir, mich in anderer Weise zu präsentier­en, den Medien gegenüber offener zu sein und zu sagen, was ich denke.

Standard: War Lindsey Vonn also eine Inspiratio­n für Sie? Maze: Lindsey ist immer Show. Sie verfolgt den US-Stil, ist sehr offen und teilt alles mit der Öffentlich­keit. Sie macht alles mit Lockerheit, obwohl das für den Körper sehr hart ist über die Jahre. Sie war viel interessan­ter, als ich es war. Ich war zu verschloss­en, deshalb war ich für die Medien nicht interessan­t und musste mich öffnen.

Standard: Hat sie es nicht auch manchmal übertriebe­n? Maze: Sie hat sich nie verstellt, es aber möglicherw­eise übertriebe­n. Ich hätte nie so oft erwähnt, dass ich verletzt bin oder Schmerzen habe. Ich hätte nie so viel Drama gemacht. Ich hätte es für mich behalten, wenn ich einmal nicht den besten Tag gehabt habe. Ich bin eher ein ruhiger Typ, habe mich immer mehr auf die Arbeit und die Ergebnisse konzentrie­rt. Aber bitte mich nicht falsch zu verstehen, sie hat einen guten Job gemacht. Die Leute wollen Champions wie sie, die aus sich herausgehe­n.

Standard: Ist nach den Abgängen von Vonn und Aksel Lund Svindal eine Lücke entstanden? Maze: Die Dinge ändern sich sehr schnell. Shiffrin ist sehr interessan­t, und sie hat einen super Charakter. Und Hirscher ist auch noch dabei. Im Skizirkus gibt es nach wie vor sehr viele starke Athleten. Aber natürlich wird es ohne Lindsey und Aksel etwas weniger interessan­t. Hören Größen wie sie auf, geht der Level nach unten.

TINA MAZE (35) aus Slovenj Gradec ist eine von nur sieben Läuferinne­n, die Weltcupsie­ge in allen fünf Diszipline­n feierten. Maze arbeitet für Eurosport, sie hat eine einjährige Tochter mit ihrem Ex-Trainer Andrea Massi.

 ?? Foto: Thomas Hirner ?? Tina Maze hat spät gelernt, mehr aus sich herauszuge­hen.
Foto: Thomas Hirner Tina Maze hat spät gelernt, mehr aus sich herauszuge­hen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria