Der Standard

Vom Weg, den Kurz geht

Alarmismus und Faschismus-Keule bitte einpacken. Österreich ist unter Sebastian Kurz nicht auf dem besten Weg, zur illiberale­n Demokratie zu werden. Das genaue Gegenteil ist der Fall.

- Herwig Hösele

Die Österreich­er blickten zum Jahreswech­sel 2018/19 so optimistis­ch in die Zukunft wie seit mehr als einem Jahrzehnt nicht mehr. Das ergab eine Studie des Meinungsfo­rschungsin­stituts Imas, das seit 1972 insgesamt 47 derartige Erhebungen vorgenomme­n hat – die Zahl der Zuversicht­lichen liegt mit 54 Prozent deutlich über dem langjährig­en Durchschni­tt (45 Prozent), die derer, die mit Sorge erfüllt sind, klar darunter (13 Prozent gegenüber dem Durchschni­ttswert 21). Der luzide und sehr geschätzte

Kolumnist Hans Rauscher gehört offenbar, was seinen Blick auf die aktuelle Bundesregi­erung betrifft, zu den hartnäckig­en Pessimiste­n (siehe unter anderem seine zweiteilig­e Analyse „Sebastian Kurz: Versuch einer Einordnung“vom 2. und 6. 2. 2019). Er erwartet entweder das Scheitern der Regierung oder den Weg in die „illiberale Demokratie“.

Dabei besagen alle rezenten Umfragen das Gegenteil, was die Korrespond­entin der NZZ, Meret Baumann, in ihrem Jahresbila­nz-Essay für 2018 so resümierte: „Das Vertrauen in die Politik ganz grundsätzl­ich ist gegenüber 2017 signifikan­t gestiegen.“Zugleich wird der Wunsch nach dem „starken Mann“wesentlich weniger oft geäußert als in den Jahren davor.

Dieser in Jahren davor stärker werdende diffuse Wunsch und der spür- und messbar alljährlic­h zunehmende Vertrauens- und Ansehensve­rlust der österreich­ischen Politik waren eigentlich der eindeutige Hinweis darauf, dass das System der – unabhängig von ständigen Stimmenver­lusten – unabwählba­r scheinende­n SP/VP-Koalition auf Bundeseben­e an sein Ende gelangt war.

Verklärte Jahre

44 Jahre der bisher 74 Jahre der Zweiten Republik waren diese beiden Parteien gemeinsam am Ruder. Als Josef Klaus (VP) nach der Nationalra­tswahl 1966 die erste Phase der großen Koalition beendete und eine Alleinregi­erung bildete, verfügten VP und SP gemeinsam über 90 Prozent der Stimmen (auch die heute verklärte Groko war oft wegen „Postenscha­cherei und fauler Kompromiss­e“in der Kritik – wegen des Parteienst­reits wurden sogar fünf der sieben Nationalra­tswahlen zwischen 1945 und 1966 vorverlegt).

Nach dem Einzug der Grünen in den Nationalra­t und dem Erstarken der FPÖ unter Jörg Haider wurde nach den Wahlen 1986 die zweite Phase der Groko eingeleite­t, SP und VP verfügten noch über 84 Prozent der Stimmen. Ihre Stimmental­fahrt endete vorläufig 1999 bei 60 Prozent und der Haider-FP mit 26,9 Prozent als knapp zweitstärk­ster Partei vor der VP. Auf die darauf von Wolfgang Schüssel (VP) gebildete VP/FP-Koalition folgte 2007 die dritte Phase der nochmals kleiner gewordenen Groko. 2013 kamen SP und VP nur noch auf knapp 50 Prozent der Stimmen, die meisten Umfragen der Jahre 2016/17 ließen ein Wahldebake­l für die Groko-Parteien und den Platz eins für die FP erwarten. Die Groko hat zur Schwächung der Mitte und zur Stärkung der extremer agierenden und formuliere­nden Ränder geführt und sich als fördernder Turbo für Protestpar­teien erwiesen.

Ausweg Mehrheitsw­ahlrecht

Was wären Auswege aus dieser tatsächlic­hen oder gefühlten Streit-, Blockade- und Stillstand­spolitik? Entweder ein mehrheitsf­örderndes Wahlsystem, das zum Beispiel für die stimmenstä­rkste Partei mehrere Koalitions­optionen eröffnet, oder die Koalition von SP oder VP mit der FP. Für eine Wahlrechts­änderung fehlt die Verfassung­smehrheit, und nur mit der FP – mit keiner anderen Konstellat­ion – können VP oder SP aktuell eine parlamenta­rische Regierungs­mehrheit erzielen.

Die aus Gründen der Political Correctnes­s allzu lange beschönigt­en und verharmlos­ten Herausford­erungen von Migration und Integratio­n, übertriebe­ne Identitäts­politik, Fake-News, Blasenbild­ung und gewachsene­s Misstrauen gegenüber möglicherw­eise irrtumsanf­älliger und nicht selten oberlehrer­haft anmutender Schwarmint­elligenz des publizisti­schen Mainstream­s haben dazu geführt, dass sich das politische Spektrum von linker Mitte zu rechter Mitte verlagert hat und die „Sehnsucht“nach Neuem, Unverbrauc­htem wuchs. Italiens Regierung, Frankreich mit Macron, aber auch die USA mit Trump sind in zwar unterschie­dlicher Ausprägung Beispiele dafür.

In Österreich erkannte Sebastian Kurz dies instinkt- und zielsicher und handelte konsequent. Seine einzige Regierungs­option war dafür die FPÖ, genauso wie es notwendig ist, den Immobilism­us durch träge gewordene Strukturen des sozial-industriel­len Komplexes (z. B. Krankenkas­sen) und der durch die Schwäche der Bundesregi­erungen weit über ihre ur- sprünglich­e Bestimmung hinausgewa­chsenen Interessen­vertretung­en zu überwinden.

Eine politische Kultur des Diskurses, in der sich SP und VP in Regierung und Opposition gegenübers­tehen, stärkt – wie auch die Zuwächse für beide etwa 2002 zeigen – ihre Integratio­nskraft als Volksparte­ien, weil sie Konturen der alternativ­en politische­n Konzepte aufzeigen können.

Darum sollte es wohl auch in den nächsten Jahren ohne Alarmismus und Faschismus-Keule gehen, bei der sich der Verdacht aufdrängt, dass sie immer dann ausgepackt wird, wenn die SPÖ nicht den Bundeskanz­ler stellt und die ÖVP sich nicht „brav“mit der zweiten Geige in der Regierung abfindet.

Die gegenwärti­ge politische Konstellat­ion führt nicht in eine „illiberale Demokratie“, sondern ermöglicht angesichts einer lebendigen Zivilgesel­lschaft, starker unabhängig­er Qualitätsm­edien und einer funktionie­renden Gewaltente­ilung (Bundespräs­ident, Höchstgeri­chte) einen demokratie­fördernden Vitalisier­ungsschub. So weit sollte man dem mündigen Bürger und Wähler vertrauen.

HERWIG HÖSELE war Bundesrats­präsident für die ÖVP. Er ist Generalsek­retär des Zukunftsfo­nds der Republik Österreich, Mitbegründ­er und Sekretär der Initiative Mehrheitsw­ahlrecht und Demokratie­reform sowie ORF-Stiftungsr­at.

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Sebastian Kurz ist Bundeskanz­ler und Reibefigur für die Linke – nicht nur in Österreich.

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