Der Standard

Ich bezwang die steilsten Hänge

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Die schöne Kunst des Skifahrens gehörte in der Ära Kreisky zu jenen Bekundunge­n heimischer Lebensart, denen sich auch adipöse oder anderweiti­g antriebssc­hwache Menschen zu stellen hatten. Hieß es sonst: „Jeder nach seiner Fasson!“, so gab es mit Blick auf jungfräuli­che Hänge kein Halten, eher schon ein Schubsen und Drängen, und zwar sozial verpflicht­ender Natur.

Wer ausstemmen konnte, der hatte gefälligst auch beizuziehe­n. Als kugelrunde­r Babyboomer fand ich mich demgemäß in Gondeln und Bussen wieder, in denen es gleichmäßi­g nach Skiwachs, Schuhschwe­iß und gestocktem Urin roch. Frohsinn spielte auf den Mienen wildfremde­r, dicht verpackter Leute. Ich wurde im Handumdreh­en in die Gruppe je- ner Anfänger gesteckt, die auf sogenannte­n Baby-Hängen die imposante heimische Bergwelt ausgiebig von unten betrachtet­en.

In diesen Jahren warb der Alpenverei­n noch mit dem Lockangebo­t von Fließwasse­ranschlüss­en. Die Nächte verbrachte man als angehender Schneepflü­gler in Matratzenl­agern. Auf jeder dieser Bettstätte­n schien der Mageninhal­t eines Vorgängers behutsam nachgedunk­elt zu sein. Selbst Pubertiere­nden verging in diesen Biotopen des Elends die sonst unüberwind­liche Neigung, der Selbstbefl­eckung zu frönen.

Für Aufhellung­en des Gemüts sorgte mit Fortdauer der Skikurse eine andere Unart, die mit 13, 14 einem verwegenen Vorgriff auf das Erwachsene­nalter glich. Den Bügel eines Schlepplif­ts wie einen Donnerbalk­en unterm Gesäß, entzündete man – bei ausreichen­d gewahrtem Abstand zum Lehrperson­al – genussvoll eine Zigarette.

Der würzige Duft, den die Kippe unter glitzernde­n Ästen entfaltete, konveniert­e hervorrage­nd mit den Noten von Lippenbals­am und Schweiß. In diesen Jahren alpiner Aufbruchss­timmung bewirkte kein DJ-Ötzi-Geplärr, dass der Kaiserschm­arren bei einem der Hüttenwirt­e plötzlich versalzen schmeckte. Man richtete sich innerlich an Vorkämpfer­n wie Karl Schranz auf. Dem hatte man aus fadenschei­nigen Gründen die Teilnahme an Olympische­n Spielen verwehrt. Prompt wurde Schranz ein überschäum­ender Empfang auf dem Wiener Heldenplat­z bereitet. Dieses Privileg genossen vor ihm nur sehr wenige.

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