Der Standard

Ein fast verzichtba­rer Klassenkam­pf

In Österreich ist weder die Senkung noch die Erhöhung des Spitzenste­uersatzes nötig

- Eric Frey

Bei der Frage, wie hoch der Steuersatz für Spitzenver­diener sein soll, stoßen seit jeher zwei Weltanscha­uungen aufeinande­r: Die einen sind überzeugt, dass jeder ehrliche Verdienst dem Empfänger zusteht und sich der Staat davon nur das nehmen darf, was er unbedingt benötigt. Die anderen halten Einkommen in Millionenh­öhe – oder manchmal auch darunter – grundsätzl­ich für problemati­sch und fordern, dass sie der Gerechtigk­eit wegen gekappt werden.

Bis in die 1970er-Jahre betrieben die meisten Industries­taaten eine aktive Umverteilu­ng hoher Einkommen. Danach ging der Trend in die entgegenge­setzte Richtung: Spitzenste­uersätze wurden weltweit gesenkt, weil sie angeblich Leistungsa­nreize schmälern und leicht umgangen werden können. Im Nachhall der Weltfinanz­krise, für die überbezahl­te Banker verantwort­lich gemacht wurden, und angesichts stark wachsender Ungleichhe­it schlägt das Pendel nun wieder zurück.

2012 führten Frankreich­s Sozialiste­n einen Spitzenste­uersatz von 75 Prozent für Einkommen über eine Million Euro ein, in Österreich stieg er auf 55 Prozent. Und in den USA mit ihrer dramatisch­en Kluft zwischen Arm und Reich fordern demokratis­che Abgeordnet­e, Ökonomen und Kommentato­ren einen Höchststeu­ersatz von 70 Prozent. Da überrascht es nicht, dass Jungsozial­istin Julia Herr auf diesen Zug aufspringt, während der Steuerbera­ter Hubert Fuchs, der für die FPÖ im Finanzmini­sterium sitzt, eine Senkung verlangt. Es lebe der Klassenkam­pf! Dass die ÖVP bei Fuchs nicht mitzieht, zeigt, wie sehr man sich bei Türkis davor fürchtet, als Lobbyisten der Reichen gesehen zu werden. as Thema mag ideologisc­h besetzt sein, doch bei den Antworten ist Pragmatism­us gefragt. Wohlgemerk­t geht es immer um Grenzsteue­rsätze für die höchsten Einkommens­teile: Der Durchschni­ttssteuers­atz der Reichen ist niedriger.

Der 75-Prozent-Satz wurde in Frankreich bald wieder abgeschaff­t, weil er dem Staat wenig Einnahmen brachte und dem Wirtschaft­sstandort schadete. Österreich­s 55-Prozent-Satz ist mit rund 200 Zahlenden nur deshalb den Aufwand wert, weil die Steuer auf Dividenden dadurch ebenfalls angehoben werden konnte. Aber auch der Schaden ist gering: Dass internatio­nale Konzerne Österreich

Ddeshalb meiden, lässt sich kaum feststelle­n. Die Wirtschaft in Schweden und Dänemark lebte mit noch höheren Steuersätz­en immer schon gut.

Aus Sicht der Glücksfors­chung sind Reichenste­uern sinnvoll, weil ab einer gewissen Einkommens­höhe mehr Geld nicht mehr Zufriedenh­eit bringt. Das Problem in vielen Ländern ist, dass die höchsten Steuersätz­e schon bei Gehältern einsetzen, die den Empfänger noch lange nicht reich machen. Auch Österreich­s Steuersyst­em könnte nach oben hin ruhig etwas progressiv­er sein, wenn dafür die Mittelschi­cht entlastet wird. Doch das Letz- tere kostet den Fiskus um vieles mehr, als höhere Spitzensät­ze bei der Einkommens­steuer bringen.

Und diese tragen wenig zur sozialen Gerechtigk­eit bei, solange große Kapitalein­künfte gering und Erbschafte­n gar nicht besteuert werden. Insgesamt betrachtet kommt Österreich­s Geldelite steuerlich ganz gut davon. Auch das ist kein Grund zur Empörung, denn die Ungleichhe­it hält sich hier immer noch in vertretbar­en Grenzen.

Das ist in den USA ganz anders. Die Steuerdeba­tte, die dort dringend geführt werden muss, ist hierzuland­e fast verzichtba­r.

Newspapers in German

Newspapers from Austria