Der Standard

ZITAT DES TAGES

Die Wiener Festwochen finden heuer an 27 Schauplätz­en statt, verteilt auf elf Bezirke. Das gab es noch nie. Und auch sonst lässt der neue Intendant, der Belgier Christophe Slagmuylde­r, mit deutlichen Aussagen aufhorchen.

- INTERVIEW: Margarete Affenzelle­r, Stephan Hilpold CHRISTOPHE SLAGMUYLDE­R leitete das Kunstenfes­tivaldesar­ts in Brüssel. Bis 2023 ist er Festwochen-Intendant.

„Es gibt wenige Städte, die eine solch lebendige Theatersze­ne haben. Aber das Spektrum, das geboten wird, könnte größer sein.“

Noch nie verloren die Festwochen so viele Besucher wie während des gerade einmal zwei Jahre dauernden Intendanz von Tomas ZierhoferK­in. Kein leichter Ausgangspu­nkt für den belgischen Festivalma­cher Christophe Slagmuylde­r, der am Donnerstag sein erstes Programm präsentier­te. Wir trafen ihn zum Gespräch.

Standard: Sie haben mit wenigen Monaten Vorbereitu­ngszeit ein Festival mit 45 Produktion­en programmie­rt. Sind Sie der Superhero unter den Festivalma­chern?

Slagmuylde­r: Es war klar, dass ich jetzt erst einmal zeigen muss, was ich kann. Ich habe ein dickes Adressbuch mit Künstlern, die ich aus der Zusammenar­beit kenne. Also habe ich einige davon angerufen. Nichtsdest­oweniger ist das heurige Programm erst ein erster Entwurf des Festivals.

Standard: Ist es ein Kompro

miss?

Slagmuylde­r: Ja und nein. Ich bin selbst überrascht, was ich in der kurzen Vorbereitu­ngszeit alles unter einen Hut gebracht habe.

Standard: Neben der Programmfü­lle erstaunt die Anzahl der Festivalor­te: 27. Hat Ihnen das die Politik nahegelegt? Derzeit wird Kunst an der Peripherie stark forciert.

Slagmuylde­r: Wien steht damit nicht allein da. Aber nein, ich diskutiere nicht mit der Kulturstad­trätin das Programm. Und ja, ein Festival sollte mehr Orte als das Theater an der Wien und die Hallen im Museumsqua­rtier bespielen. Ich habe die ersten sechs Wochen in Wien damit verbracht, Kulturleut­e und Orte kennenzule­rnen. Als ich das Theater Hamakom gesehen habe, wusste ich zum Beispiel, da will ich hin.

Standard: Einen Teil der Eröffnung verlegen Sie in die Donaustadt. Warum?

Slagmuylde­r: Wir werden die Eröffnung für die Zukunft überdenken müssen. Ich wollte die Festwochen nicht nur auf dem Rathauspla­tz beginnen lassen. Es ist einerseits wichtig, die Sichtbarke­it, die wir durch die Eröffnung bekommen, zu nutzen. Anderersei­ts wollte ich unbedingt aus dem Zentrum raus.

Standard: Warum in den 22.?

Slagmuylde­r: In Brüssel wohne ich in Molenbeek, ein sehr multikultu­relles Viertel. Die Donaustadt kann man nicht damit vergleiche­n, aber dadurch, dass sie jenseits der Donau liegt, hat sie eine besondere Bedeutung.

Standard: Sie bespielen in der Donaustadt die Erste-Bank-Arena. Die Erste Bank ist einer der Hauptspons­oren der Festwochen ...

Slagmuylde­r: ... Halt! Damit hat meine Entscheidu­ng nichts zu tun. Ich wollte mit Diamante von Mariano Pensotti eröffnen, die Arena mit ihren Hallen eignet sich dafür perfekt. Eine Eissportha­lle, ein riesiges Einkaufsze­ntrum: ein eindrucksv­oller urbaner Ort.

Standard: Gibt es einen roten Faden in Ihrem Programm?

Slagmuylde­r: Nein, das interessie­rt mich nicht. Ich fange nicht mit einer Idee an, sondern mit künstleris­chen Vorschläge­n. Der rote Faden ist die Zeitgenoss­enschaft, die sich durchs Programm zieht.

Standard: Wo ist in Wien mehr Zeitgenoss­enschaft gefragt?

Slagmuylde­r: In Wien gibt es, was Theater, Performanc­es oder Tanz anbelangt, tolle, renommiert­e Institutio­nen mit herausrage­nden Schauspiel­ern und Autoren. Aber wenn man sieht, wie lebendig die Szene im Bereich der bildenden Kunst ist, dann fehlen mir in Wien gewisse Aspekte. Die internatio­nale Ausrichtun­g fehlt!

Standard: Tritt in Wien die darstellen­de Kunst auf der Stelle?

Slagmuylde­r: Es gibt wenige Städte, die eine solch lebendige Theatersze­ne haben. Aber das Spektrum, das geboten wird, könnte größer sein: dass man internatio­nal koproduzie­rt, dass man Genregrenz­en überschrei­tet.

Standard: Das Festival zu öffnen und jüngeres Publikum anzulocken war das Anliegen Ihres Vorgängers, Tomas Zierhofer-Kin. Ihr Programm erinnert stärker an jenes Ihrer Vorvorgäng­er.

Slagmuylde­r: Wirklich? Da bin ich jetzt erstaunt. Natürlich geht es auch mir um ein neues Publikum, aber es geht auch darum, das jetzige Publikum zu halten oder es wiederzuge­winnen.

Standard: Sie haben zwei Produktion­en Ihres Vorgängers übernommen. Welche?

Slagmuylde­r: Den Bob-WilsonAben­d mit Isabelle Huppert und

Narziss und Echo von David Marton. Beide Produktion­en passen wunderbar in mein Programm. Das ebenfalls angedachte Projekt mit Marina Abramović ließ sich aus Zeitgründe­n nicht realisiere­n.

Standard: Ihr Programm unterstrei­cht, dass Theater bei den Festwochen eine zentrale Position einnimmt. Zuletzt standen Performanc­es, Tanz und die Clubschien­e im Vordergrun­d. Slagmuylde­r: Das hat viel mit den Orten zu tun, die ich bespielen will. Die Tanzszene wird von Impulstanz wunderbar abgedeckt, da sehe ich keine Notwendigk­eit, etwas zu ändern.

Standard: Was ist mit Opern? Musik spielt in Ihrem Programm eine untergeord­nete Rolle.

Slagmuylde­r: Livemusik gibt es bei Anne Teresa De Keersmaeke­r, Christian Fennesz stellt sein neues Album vor, die Performer von Marlene Monteiro Freitas werden von Musikern begleitet. Mich interessie­rt die Frage, wie man Musik auf die Bühne bringt und verschiede­ne Genres zusammende­nkt. Es muss nicht immer Oper sein. Ob es in Zukunft wieder Opern bei den Festwochen gibt, ist noch offen.

Standard: Sie hätten zumindest das Geld dafür. Die Festwochen haben ein Budget von zwölf Millionen Euro, beim Kunstenfes­tivaldesar­ts hatten Sie gerade einmal drei. Slagmuylde­r: In dieser Stadt ist alles relativ. Ich dachte, ich hätte viel mehr Geld zur Verfügung ...

Standard: Aber?

Slagmuylde­r: Hier wird Geld ganz anders verwendet als in Brüssel. Es gibt zwar mehr Geld, aber nicht so viel, wie es den Anschein hat.

Standard: Als Schauspiel­chefin Frie Leysen die Festwochen verließ, hielt sie dem Festival undurchsic­htige Strukturen vor. Was sagen Sie?

Slagmuylde­r: Dafür kenne ich das Festival noch zu wenig. Aber es ist kein Geheimnis, dass in dieser Stadt viele Institutio­nen schwer zu manövriere­n sind. Ich habe immer so gearbeitet, dass das meiste Geld für Kunst ausgegeben wird.

Standard: Denken Sie über flexiblere Strukturen nach?

Slagmuylde­r: Ja, weil es das Programm notwendig macht. Die Kunst verändert sich, also müssen sich die Strukturen verändern.

Standard: Wie soll das Festival am Ende Ihrer Intendanz, in fünf Jahren, aussehen?

Slagmuylde­r: Ein Festival mit vielen Formaten und einem sehr diversen Publikum. Eines, bei dem Künstler neue Sachen ausprobier­en können. Vielleicht gewöhnen sich die Leute so sehr daran, dass sie irgendwann sagen: Christophe, dein Programm ist für uns nicht herausford­ernd genug. Dann habe ich mein Ziel erreicht.

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Ob es in Zukunft bei den Festwochen wieder Oper geben wird? Das lässt Christophe Slagmuylde­r noch offen.

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