Der Standard

Wie Kurdenführ­er Öcalan aus der Haft seinen Einfluss wahrt

Der Kurdenführ­er Abdullah Öcalan ist in der Türkei auf einer Insel inhaftiert. Kontakt zum Gründer der PKK gibt es so gut wie keinen. Dennoch reicht sein Einfluss auch 20 Jahre nach der Festnahme weit – bis nach Syrien.

- Michael Völker

Mehmet Öcalan erhielt am Samstag, den 12. Jänner, überrasche­nd Besuch von türkischen Sicherheit­skräften. Er dürfe jetzt seinen Bruder sehen. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wurde Mehmet Öcalan auf die Gefängnisi­nsel Imrali im Marmaramee­r gebracht. Dort wird der prominente­ste Häftling der Türkei gefangen gehalten: Abdullah Öcalan, Gründer und Führer der kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK, der Bruder von Mehmet.

25 Minuten konnten die beiden unter Aufsicht miteinande­r reden. Seitdem wissen die Anhänger von Öcalan immerhin, dass er noch lebt. Es war Mehmet Öcalan, der seinen Bruder im September 2016 das letzte Mal gesehen hatte. Seitdem gab es zu Apo, wie Abdullah Öcalan von seinen Anhängern genannt wird, keinerlei Kontakt. Der 69-Jährige wird in totaler Isolation gefangen gehalten. Seine Anwälte hatten ihn vor acht Jahren das letzte Mal gesehen, fast 800 Anträge auf Besuch bei ihrem Mandanten sind seither abgelehnt worden.

Öcalan war der einzige Häftling auf der 25 Quadratkil­ometer großen Insel, 2009 wurden fünf weitere politische Gefangene, die ebenfalls zu lebenslang­er Haft verurteilt sind, nach Imrali überstellt. Angeblich dürfen die Gefangenen einander für zehn Stunden in der Woche sehen.

Der überfallsa­rtige Besuch, der für Mehmet Öcalan herbeigefü­hrt wurde, ist offenbar den zahlreiche­n Hungerstre­iks geschuldet, die in der Türkei, aber auch in vielen anderen Staaten stattfinde­n. Prominente­ste Hungerstre­ikende ist Leyla Güven, eine Abgeordnet­e der prokurdisc­hen Demokratis­chen Partei der Völker (HDP), die erst Ende Jänner in einem lebensbedr­ohlichen Zustand aus der Haft entlassen wurde. Sie war Anfang 2018 nach Kritik an der türkischen Militäroff­ensive im syrischen Afrin festgenomm­en worden. Hunderte weitere Bürgermeis­ter, Abgeordnet­e und Funktionär­e der HDP sitzen heute im Gefängnis. Viele von ihnen haben sich dem Hungerstre­ik angeschlos­sen, um gegen die Isolations­haft und für die Freilassun­g Öcalans zu demonstrie­ren. Auch in Österreich sind mehrere Aktivisten im Hungerstre­ik.

Entführung in Kenia

Am 15. Februar ist es auf den Tag genau 20 Jahre her, dass Öcalan in Kenia beim Verlassen der griechisch­en Botschaft vom türkischen Geheimdien­st in dessen Gewalt und nach Ankara gebracht wurde, wo ihm wegen Hochverrat­s der Prozess gemacht wurde. Zuvor hatte Öcalan versucht, in mehreren europäisch­en Staaten Asyl zu erhalten. Für seine Anhänger ist der 15. Februar ein Trauertag, an dem jährlich Demonstrat­ionen stattfinde­n. Diese dürften heuer größer ausfallen. Aus etlichen europäisch­en Städten sind Sympathisa­nten Öcalans aufgebroch­en, die sich am Wochenende in Straßburg vereinigen und für die Freilassun­g ihres Idols eintreten wollen.

Öcalan hat 1978 die Arbeiterpa­rtei Kurdistans (PKK) gegründet, die sich mit unterschie­dlichen Methoden, zumeist im bewaffnete­n Kampf gegen die Türkei, für einen eigenen Kurdenstaa­t oder auch nur für einen Autonomies­tatus eingesetzt hat. Zehntausen­de Tote in bewaffnete­n Konflikten waren die Folge. Nach Einschätzu­ngen von Nachrichte­ndiensten hat die PKK immer noch regen Zulauf und kann sich in Europa auf zehntausen­de Anhänger stützen.

Ihre militärisc­he Basis hat die Kurdenpart­ei im Kandil-Gebirge im Norden des Irak an der Grenze zum Iran, wo sie von den irakischen Kurdenpart­eien mehr geduldet als geschätzt wird. Das mag auch an den regelmäßig­en Luftangrif­fen liegen, die von der Türkei aus geflogen werden.

Syrische Schwesterp­artei

In Syrien hat sich mit der Partei der Demokratis­chen Union (PYD) eine Kurdenpart­ei gebildet, die als Schwesterp­artei der PKK gilt, deren militärisc­her Arm gleichzeit­ig aber ein enger Verbündete­r der USA im Kampf gegen den „Islamische­n Staat“war und ist. Das durch den Bürgerkrie­g in Syrien entstanden­e Machtvakuu­m haben die Kurden, die größte ethnische Minderheit im Land, geschickt für sich genutzt: Mittlerwei­le kontrollie­ren sie bereits 20 Prozent Syriens.

In der Region Rojava übt die PYD eine De-facto-Selbstverw­altung aus. Die Kurden haben ihren Machtanspr­uch auch auf nichtkurdi­sches, von Arabern dominierte­s Territoriu­m ausgedehnt. Und sie kontrollie­ren den größten Teil des Gebietes an der nördlichen Grenze zur Türkei. Allerdings ist es kein in sich zusammenhä­ngendes Gebiet, das versucht das Regime von Bashar al- Assad, vor allem aber auch die Türkei zu verhindern. Die Region Afrin im Nordwesten Syriens wurde im März 2018 von türkischen Streitkräf­ten gemeinsam mit Milizen der Freien Syrischen Armee teilweise erobert.

Abdullah Öcalan ist in den syrischen Kurdenregi­onen allgegenwä­rtig. Sein Konterfei prangt auf Hausmauern, von der Bevölkerun­g wird er wie ein Heiliger verehrt. Die Distanzier­ung der PYD von der PKK fällt halbherzig aus. „Worin wir uns nicht unterschei­den, ist die Haltung zu den Ideen von Öcalan“, sagte ein Funktionär im Gespräch mit dem Standard. Die Vision ist ein ebenso sozialisti­sch wie utopisch anmutendes Weltbild mit totaler Gleichstel­lung der Völker, der Klassen, aber auch der Geschlecht­er. „Es geht um radikale Demokratie, an der Mullahs ebenso teilnehmen wie Feministin­nen“, sagt Nilüfer Koc, Co-Vorsitzend­e des Kurdistan National Congress. Die politische Selbstverw­altung wird in Räten organisier­t – wie Apo es gewollt hätte. Für die Türkei das zwingendst­e Argument, eine autonome kurdische Region an ihrer Grenze militärisc­h zu bekämpfen. Je früher die USA ihre schützende Hand und die Truppen abziehen, desto eher könnten sich die türkischen Streitkräf­te daranmache­n, den kurdischen Traum an ihrer Grenze wieder zu zerstören.

Öcalan hat der Türkei aus dem Gefängnis heraus mehrfach Friedensan­gebote unterbreit­et, aber auch wieder zurückgezo­gen. Was er heute der Türkei, aber auch seinen eigenen Anhängern vorschlage­n würde, ist unbekannt – von der Gefängnisi­nsel Imrali dringen keine Nachrichte­n.

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Anhänger von Abdullah Öcalan, dem Gründer der Arbeiterpa­rtei Kurdistans (PKK), machen in etlichen europäisch­en Städten (hier in Hamburg) für seine Freilassun­g mobil.
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Am 15. Februar 1999 wurde Öcalan in die Türkei gebracht.

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