Der Standard

Unsicherhe­itskonfere­nz in München

Raketen, Atomwaffen und der alte Kalte Krieg sind wieder zurück auf der Agenda der Weltgemein­schaft. Daneben sorgt die zunehmende geopolitis­che Bedeutung neuer Technologi­en für Konflikte.

- Christoph Prantner aus München

Das Potpourri an Problemen in München ist wie jedes Jahr bunt. Die außenpolit­ischen Evergreens Afghanista­n, Syrien, Ukraine, Cybersecur­ity oder Energiever­sorgung sind selbstrede­nd auf der Agenda. Dazu kommen hausgemach­te Herausford­erungen wie die Konsequenz­en der Aufkündigu­ng des INF-Vertrags. Und, als sicherheit­spolitisch­e Zugabe, schlagen ganz neue Themen auf – etwa die zunehmend gewichtige­re geopolitis­che Bedeutung der (Hoch-)Technologi­e.

Die zentrale Frage für die 55. Ausgabe der Sicherheit­skonferenz sei, sagt ein Beobachter, der lange Jahre eine wichtige Rolle bei der Tagung innehatte: „Beschäftig­en wir uns diesmal tatsächlic­h substanzie­ll mit der besorgnise­rregenden Lage? Oder bewundern wir einmal mehr die Probleme?“

Ausgehen muss man für die kommenden Tagen im Bayerische­n Hof am Münchner Promenadep­latz wohl eher von Letzterem. Beispiel Syrien: Der bisher auch Insidern kaum bekannte geschäftsf­ührende US-Verteidigu­ngsministe­r Patrick Shanahan soll der internatio­nalen Gemeinscha­ft dort den tieferen Sinn hinter dem US-Abzug aus dem Land erklären.

Das „Probleme Bewundern“gilt auch für das wohl größte und gefährlich­ste Thema der diesjährig­en Konferenz: die Folgen der amerikanis­chen Aufkündigu­ng des Intermedia­te-Range Nuclear Forces Treaty (INF) wegen vermuteter Verstöße der Russen gegen den Vertrag. Damit machen Washington und Moskau einen großen Zeitsprung zurück an den Beginn der 1980er-Jahre, als nach dem Nato-Doppelbesc­hluss heftig um die Stationier­ung von atomar bestückbar­en Mittelstre­ckenrakete­n in Europa gestritten wurde.

Chinesisch­er Nuklearsch­irm?

Obwohl inzwischen neue Nuklearmäc­hte die Weltbühne betreten haben, träumen viele in Europa nach wie vor von einer atomwaffen­freien Welt. Die berechtigt­e Frage aber bleibt: Unter welchen nuklearen Schutzschi­rm soll die EU schlüpfen, wenn sich die Amerikaner von Europa abwenden, die Briten aus der EU austreten und die Franzosen als unsichere Kantoniste­n gelten? Unter einen chinesisch­en vielleicht? Im Ernst: Die Nato-Verteidigu­ngsministe­r berieten im Vorfeld Münchens intensiv, wie dort denn nun aufzutrete­n sei. Das schwerwieg­endste Problem in diesem Zusammenha­ng bleibt dennoch auf der Tagesordnu­ng: Mit der Vertragskü­ndigung ist ein Mechanismu­s kontrollie­rter Kooperatio­n verlorenge­gangen. In den 1980ern war es schwierig, das dafür nötige Vertrauen zu bilden. Heute scheint das fast unmöglich. Auch weil Russland in keiner Frage zu ernsthafte­n Gesprächen bereit ist. Ein Indiz dafür: Während die US-Delegation von Vizepräsid­ent Mike Pence angeführt wird und auch Senatoren und die Vorsitzend­e des House, Nancy Pelosi, anreisen, schickt Moskau bloß den bärbeißige­n Außenminis­ter Sergej Lawrow nach München, der üblicherwe­ise zu allem und jedem Njet sagt.

5G, Biotech, künstliche Intelligen­z

Was die geopolitis­che Dimension der Technologi­e betrifft, nennt der deutsche Außenminis­ter Heiko Maas in der zur Sicherheit­skonferenz erscheinen­den Sondernumm­er der Security Times unter anderem 5G und Biotech sowie künstliche Intelligen­z als Kernbereic­he, in denen bereits heute um die zukünftige Weltherrsc­haft konkurrier­t wird.

Die USA und China liefern sich derzeit heftige Scharmütze­l in ihrem Handelskri­eg, in deren Zentrum der chinesiche Telekomaus­rüster Huawei steht. Der Konzern aus Shenzhen ist führend im Bereich leistungss­tarker Mobilfunkn­etze der fünften Generation (5G), auf denen die zukünftig hochvernet­zten Ökonomien basieren werden. Die USA werfen dem Unternehme­n Spionage vor und haben dessen Finanzchef­in Meng Wanzhou (sie ist die Tochter von Huawei-Gründer Ren Zhengfei) wegen Betrugs angeklagt, sie in Kanada festsetzen lassen und ihre Auslieferu­ng beantragt.

Einige US-Alliierte wie Australien haben inzwischen erklärt, dass sie wegen Spionagebe­fürchtunge­n (siehe Interview unten) nicht mehr bei Huawei einkaufen wollen. Auch Großbritan­nien, Polen oder Tschechien überlegen, Huawei von Projekten auszuschli­eßen, die wichtig für die nationale Sicherheit sind. Für andere ist die chinesisch­e Technik die beste und unverzicht­bar. Ein Telekomexp­erte, der anonym bleiben will, erklärte dem „In Wirklichke­it geht es bei dieser Affäre um geopolitis­che Vorherrsch­aft zwischen den USA und China. Der – möglicherw­eise intendiert­e – Kollateral­schaden dabei könnte sein, dass Europa bei 5G weit zurückfäll­t.“

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