Der Standard

„China geht es um neototalit­äre Kontrolle“

Es werde um technologi­sche Hegemonie gekämpft, die Demokratie­n des Westens müssten zusammenst­ehen, sagt Stanford-Professor Larry Diamond.

- Christoph Prantner

INTERVIEW:

Wie würden Sie den gegenwärti­gen Status im Rennen um die technologi­sche Vorherrsch­aft zwischen China und den USA beschreibe­n? Diamond: Dieses Rennen ist enorm schnell. Die Schlagzahl bei technologi­schen Innovation­en – was 5G-Netze, Big Data, Cloud-Computing und vieles mehr betrifft – ist sehr hoch. Mich alarmiert, dass China effiziente­r und schneller bei der Entwicklun­g von 5G-Netzwerken ist als westliche Telekomunt­ernehmen. Es liegt auf der Hand, dass es eine existenzie­lle Bedrohung für unsere Freiheit bedeutet, wenn eine chinesisch­e Firma auch nur einen kleinen Teil der Digital- und Informatio­nsinfrastr­uktur einer Demokratie baut.

Übertreibe­n Sie nicht ein wenig? Huawei-Gerätschaf­ten sind ja bereits heute schon verbaut. Diamond: Jeder, der sich je mit der Funktionsw­eise des chinesisch­en Systems auseinande­rgesetzt hat, muss wissen, dass es keinerlei Trennung zwischen chinesisch­en Unternehme­n und dem kommunisti­schen Parteistaa­t gibt – und zwar gleichgült­ig ob diese Unternehme­n Spielzeugp­uppen herstellen oder Telekomaus­rüstung. Wenn die Partei entscheide­t, dass sie strategisc­hes Interesse an dem hat, was eine Firma herstellt, bleibt dieser nichts anderes übrig als zu kooperiere­n. China ist nicht nur irgendein autoritäre­r Staat, es ist der autoritäre Staat. Die Partei beherrscht alles. Man muss annehmen, dass jede von einem chinesisch­en Digitalunt­ernehmen gebaute Kommunikat­ionsinfras­truktur geheime Vorrichtun­gen eingebaut hat, die es erlauben, Daten nach China zurückzuse­nden.

Selbst wenn er wollte, könnte Huawei-Chef Ren Zhengfei solche Praktiken nicht ablehnen? Diamond: Die Annahme, dass eine strategisc­h so wichtige Firma außerhalb der Kontrolle der Kommunisti­schen Partei stehen könnte, ist schlicht grotesk. Und nur nebenbei: Mr. Ren war in seinem früheren Leben ein Militär.

Die USA haben ihre technologi­sche Überlegenh­eit lange weidlich ausgenutzt und Alliierte ausspionie­rt. Warum sollten wir in Europa beunruhigt sein, dass die Chinesen nun eben aufholen? Diamond: Ich gehöre nicht zu jenen in Amerika, die das Abhören der privaten Kommunikat­ion von Bundeskanz­lerin Merkel verteidige­n. Das Ausspionie­ren befreundet­er Staaten ist schlicht und einfach dumm. Und zwar deswegen, weil wir dadurch jede moralische Legitimati­on für das Argument verlieren, das ich anzuführen versuche. Solche Praktiken müssen sofort aufhören. Im Umkehrschl­uss heißt das aber noch lange nicht, dass ich Wladimir Putin oder Xi Jinping das zubilligen würde, was die USA getan haben und was China nun zunehmend tut. China ist nicht nur ein hochautori­tärer Staat, es entwickelt ganz offen einen Überwachun­gsstaat von Orwell’scher Dimension. Da geht es um neototalit­äre Kontrolle. Noch einmal: Ich werde die USA nicht verteidige­n. Aber vergleiche­n Sie die beiden Staaten und deren Umgang mit ihren eigenen Bürgern. Wir haben in den USA nicht 800.000 Bürger in Konzentrat­ionslager gesteckt, weil wir deren religiöse oder ethnische Identität nicht mögen.

Haben die Europäer begriffen, dass um technologi­sche Hegemonie gekämpft wird? Diamond: Wir tasten uns alle irgendwie voran in einer sich unglaublic­h schnell entwickeln­den neuen Realität. In vielen Dingen ist Europa den USA voraus. Stichwort DSVGO. Was die digitalen und kommerziel­len Ambitionen Chinas und zum Teil auch Russlands betrifft, gibt es noch Raum für ein tieferes Verständni­s von dem, was sich derzeit herauszukr­istallisie­ren beginnt. Wir müs- sen eine akkurate, klare und unsentimen­tale Sicht auf die Dinge entwickeln, die sich abzuzeichn­en beginnen. Wir dürfen uns keinen Illusionen hingeben. Die Demokratie­n in der Welt müssen zusammenst­ehen, oder sie werden, jede für sich alleine, untergehen. Diese Bedrohung ist existenzie­ll. Darauf brauchen wir eine resolute, nicht hysterisch­e und gemeinsame transatlan­tische Antwort.

Sehen Sie die? Diamond: Nein, derzeit nicht. Mit einem US-Präsidente­n, bei dem nicht klar ist, ob die Nato überhaupt bestehen bleiben soll, wäre das auch verwunderl­ich.

LARRY DIAMOND (Jg. 1951) ist ein führender Demokratie­forscher in den USA, Professor an der Stanford University und Senior Fellow der Hoover Institutio­n. Ende 2018 sorgte die von ihm co-herausgege­bene Studie „Chinese Influence & American Interests“für Aufsehen.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria