Der Standard

MUSIK Rustin Mans tolles Album „Drift Code“

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Das muss man einmal zusammenbr­ingen: ein Album mit einer Weltnummer – aber der Rest klingt nach eingeschla­fenen Füßen. Dieses bescheiden­e Kunstwerk ist Rustin Man 2002 gelungen. Damals hat er mit Beth Gibbons von Portishead die Platte Out Of Season veröffentl­icht. Doch bis auf das ergreifend schöne Lied Tom The Model bestand das Album aus lauter GuteNacht-Geschichte­n für den sofortigen Eintritt in den Tiefschlaf.

Dennoch galt das Album als kleines Wunder. Schließlic­h war es ein Lebenszeic­hen von Paul Webb. Der hat früher bei der weltweit verehrten britischen Band Talk Talk Bass gespielt. Die in den 1980ern berühmt gewordene Band (Such A Shame) verstummte 1992. Ihr Sänger Mark Hollis ver- schwand von der Bildfläche, 1998 veröffentl­ichte er ein titelloses Werk, das an der Grenze zur Lautlosigk­eit angesiedel­t war. An einem Musikkriti­kerstammti­sch darf man das nicht sagen, aber das war fad wie beige Socken. Seit damals schweigt der Meister.

Webb alias Rustin Man hat nach 17 Jahren Anlauf nun Drift Code veröffentl­icht. Das kommt ohne prominente­n Gast wie ehedem Beth Gibbons aus, dafür ist es unendlich spannender als die überdimens­ionierte Single aus dem Jahr 2002.

Webb lebt im Umland von London. In einer umgebauten Scheune ist das Album in liebevolle­r Detailarbe­it entstanden. Man darf sich Man als Zweifler und Tüftler vorstellen. Als einen, der lange probiert, bis etwas so klappt, wie er es imaginiert. Drift Code ist ein überlegtes, ausgefeilt­es Werk geworden. Keine Unschärfen, sondern bis in die letzten Winkel ausgeleuch­tet. Behäbige Bläser, gewischtes Schlagzeug hier, Gitarrenli­cks mit viel Echo da drüben. Und mitten drin, über der Orgel, die filigrane Stimme Webbs. Er erzählt wilde Geschichte­n über seltsame Figuren. Nicht, um diese zu erklären, sondern um die Geschichte­n am Leben zu erhalten. Das Mysteriöse muss mysteriös bleiben, aber man darf sich den Kopf darüber zerbrechen, sich am Mythos ergötzen, sich fürchten oder wohlig darin baden.

Anders als wie auf dem Erstling darüber in Schönheit zu erstarren, hält er dieses Album lebendig, erfreut sich an Ambientger­äuschen, Wah-Wah-Gitarren und behäbig groovenden Songs. Man denkt unweigerli­ch an das Bild mit der Scheune: altes Holz, mit schwachem orange getönten Licht ausgeleuch­tet, Stimmung und Atmosphäre bis unters Dach. Darin kann man auch ersaufen, doch Rustin Man führt sich selbst souverän durch das Album. Dieses zeigt bei jedem Durchgang ein paar Schönheite­n mehr. Es offenbart die Gefühligke­it und die Perfektion hinter dieser Arbeit. Perfektion ist oft seelenlos, nicht hier. Der Mann hat schließlic­h bei Talk Talk gelernt. (flu)

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Foto: Lawrence Watson R. Man: Gute Musik braucht oft Zeit, aber es zahlt sich aus.

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