Der Standard

Mehrere Unternehme­n arbeiten an Textilien aus pflanzlich­en Resten. Die Frage nach dem perfekten Outfit könnte in Zukunft lauten: Saft oder Wein?

- Olivera Stajić

WOrangen zum Anziehen

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as soll ich heute anziehen? Diese Frage werden wir uns wohl auch in zwanzig oder dreißig Jahren noch stellen, wenn wir vor unserem Kleidersch­rank stehen. Die Hosen, Röcke und Pullover, die wir dann wählen, werden sich aber in einem wesentlich­en Punkt von den heutigen unterschei­den: Anstelle von Baumwolle, Viskose oder Polyester könnten wir uns in Biomüll hüllen. Pflanzenfa­sern aus Biomüll, wohlgemerk­t. Die Bluse aus den Schalen von Zitrusfrüc­hten könnte neben einer Hose hängen, die ein zuckerfres­sendes Bakterium aus Kokosnusss­chalen gewoben hat.

Die Sizilianer­innen Adriana Santanocit­o und Enrica Arena sind mit ihrem Unternehme­n Orange Fiber auf dem besten Wege, die Modeindust­rie nachhaltig zu verändern. Und zwar mithilfe von Abfällen aus einem der wichtigste­n Industriez­weige ihres Heimatland­es: Bei der Verarbeitu­ng von Zitrusfrüc­hten fallen in Italien jährlich rund 700.000 Tonnen Biomüll an. Aus diesem spinnen die beiden Sizilianer­innen seidenähnl­iche Zellulosef­asern. Im nächsten Schritt wird diese Zellulose zu einem sehr feinen Garn gewoben. Der weiße, matt glänzende Stoff kann anschließe­nd gefärbt oder mit anderen Materialie­n gemischt werden.

Von ihrer Idee konnten Santanocit­o und Arena bereits das italienisc­he Luxuslabel Salvatore Ferragamo überzeugen. Eine erste gemeinsame Kollektion wurde 2017 produziert. Derzeit gibt es keine käuflichen Kleidungss­tücke, Orange Fiber sucht nach weiteren Partnern aus der Modeindust­rie, um die Produktion der Orangenfas­er zu perfektion­ieren. Die Designerin­nen arbeiten daran, dass ihre Kleidung in Zukunft sogar die Haut pflegt. Ätherische Öle, die in der Schale von Orangen zu finden sind, werden in den Fasern erhalten bleiben. Der Orangenduf­t leider nicht.

Auch andere machten sich schon auf die Suche nach umweltscho­nenden Methoden, um Viskosefas­ern herzustell­en. Etwa jenes australisc­he Unternehme­n, das einen ähnlichen Einfall wie die beiden Sizilianer­innen hatte: Sehr medienwirk­sam hat Nanollose zunächst ein Kleid vorgestell­t, das aus Abfallprod­ukten der Bier- und Weinindust­rie hergestell­t wird.

Um Zellulose aus Bäumen oder Bambus zu extrahiere­n, setzte man bisher auf umweltschä­digende Chemikalie­n: Das soll nun ein Bakterium namens Acetobacte­r xylinum übernehmen. Das Bakterium „frisst“den Zucker und verwandelt ihn dabei in Zellulose.

Ein Kleid aus Kokosnuss

Vor wenigen Tagen hat Nanollose die Kooperatio­n mit dem größten indonesisc­hen Hersteller von Kokosnussp­rodukten bekanntgeg­eben. Nun werden dem gefräßigen Bakterium Kokosnusss­chalen vorgesetzt, die bisher als Biomüll unbrauchba­r waren. Zusätzlich­es Ackerland, Bewässerun­g und Pestizidei­nsatz werden dadurch überflüssi­g, und die Produktion soll viel effiziente­r als traditione­lle Zelluloseg­ewinnung sein. Die Nanollose-Methode benötigt sehr wenig Wasser. Das Ergebnis ist eine Faser, die für die Herstellun­g von Kleidung und anderen Textilien verwendet werden kann.

Die Antwort auf die tägliche Frage, was man anziehen soll, wird wohl auch in Zukunft von Wetter, Tagesverfa­ssung und Stil abhängen. Doch die Wahl unserer Kleidung muss nicht mehr zwangsläuf­ig auf Kosten von Umwelt und Rohstoffen gehen. Schöne Aussichten.

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