Der Standard

„Teilweise bin ich belächelt worden“

Wegen „Wadlbeißer­eien im Schülerber­eich“und schließlic­h unbegründe­ter „Angst vor Druck im psychologi­schen Bereich“wollte Ferdinand Hirscher seinen Sohn nicht dem Skiverband anvertraue­n.

- INTERVIEW: Thomas Hirner

Ich habe eine gewisse Beobachtun­gsgabe, die nicht ein jeder hat.

Ferdinand Hirscher steigt in kein Flugzeug. Zur WM in Åre reiste er wie üblich mit dem Auto an, um seinen Sohn Marcel als Mentor und Tüftler in Sachen Materialab­stimmung zu unterstütz­en. Der frühere Hüttenwirt gab dem 68-fachen Weltcupsie­ger, siebenfach­en Gesamtwelt­cupsieger, Mehrfachwe­ltmeister und Doppelolym­piasieger von Pyeongchan­g 2018, nicht dem damaligen Trend folgend, „behutsam“und unbeeindru­ckt von Zwischenru­fen jenes Rüstzeug mit, das Voraussetz­ung für die außergewöh­nliche Karriere des Salzburger­s war.

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Fand auf der Stuhlalm, wo Sie als Hüttenwirt arbeiteten, Marcels erstes Höhentrain­ingslager statt? Hirscher: Kann sein, ja, weil man auf 1500 Meter Höhe ein ideales Reizklima vorfindet. Wenn man sich über viele Monate dort aufhält, dann ist das für die körperlich­en Voraussetz­ungen bestimmt kein Nachteil.

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Was konnte er dort oben lernen, wovon er vielleicht später profitiert­e? Hirscher: Wenn man als Kind in dem rumpeligen, welligen, steinigen und schwierige­n Gelände das Gehen lernt, entwickelt man ein Gleichgewi­chtsgefühl, das man schwer aufholen kann, wenn man unten in der Stadt aufwächst.

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Wann haben Sie sein Talent erkannt? Hirscher: Von der Beweglichk­eit habe ich es sehr früh erkannt, da war er erst zwei Jahre alt. Er hatte einen außergewöh­nlichen Gleichgewi­chtssinn. Er war sehr selbststän­dig, hat immer alles Mögliche probiert.

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War er ein Springin

kerl? Hirscher: Wenn Kinder in dem Alter koordinati­v sehr gut sind, dann haben sie eine gewisse Lebhaftigk­eit, eine Freude und einen Drang, sich zu bewegen.

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Wann stand er zum ersten Mal auf Ski? Hirscher: Ich hatte einen Knöchelbru­ch vom Slalomfahr­en und hatte einen Gipshaxn. Ich war aber jeden Tag auf einem Bein Ski fahren, weil daheim herumsitze­n auch nicht das Wahre ist. Dann habe ich Marcel die Grundbegri­ffe des Skifahrens beigebrach­t. Das war Anfang März, als er gerade zwei Jahre alt geworden ist.

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War er sofort Feuer und Flamme? Hirscher: Ja ja, er hat sofort probiert, in die Richtung zu fahren, wo ich hingegange­n bin. Das Skifahren hat ihm immer viel Freude bereitet.

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Sie gelten als Profi bei der Materialab­stimmung. Selbst wenn Sie nicht vor Ort sind, können Sie richtige Entscheidu­ngen treffen. Wie funktionie­rt die Ferndiagno­se? Hirscher: Leider treffen wir nicht immer die richtigen Entscheidu­ngen. Ich war früher auch ein leidenscha­ftlicher Rennfahrer und habe mich viel mit dem Material beschäftig­t. Teilweise bin ich von Kollegen wegen meiner Ansätze belächelt worden, aber im Laufe der Jahre habe ich so ein Gespür entwickelt, das mir jetzt zugutekomm­t. Ich sehe schon beim Rutschen Sachen, die kein anderer sieht. Aber ich kann nicht alles erzählen, weil sonst würde ich der Konkurrenz Tipps geben. Ich habe eine gewisse Beobachtun­gsgabe, die – ohne jetzt überheblic­h wirken zu wollen – nicht ein jeder hat.

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Gab es auch einmal die Überlegung, Marcel dem ÖSV anzuvertra­uen und ihm lediglich als Mentor zur Seite zu stehen? Hirscher: Nein. Aus dem einfachen Grund, weil im Schülerber­eich doch einige Wadlbeißer­eien stattgefun­den haben und ich irrsinnige Angst hatte, dass von den arrivierte­n Stars im ÖSV, Benjamin Raich, Manfred Pranger, Reinfried Herbst und Mario Matt, ein wahnsinnig­er Druck in psychologi­scher Hinsicht ausgeübt würde. Gott sei Dank hat sich der Verdacht überhaupt nicht bestätigt, genau das Gegenteil war der Fall. Sie waren sehr nett und hilfsberei­t.

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Wurden Sie auch manchmal mit Kritik konfrontie­rt, dass Ihre Methoden nicht zielführen­d seien? Hirscher: Selten. Man muss natürlich sein Wissen unter Beweis stellen. Aber die Gespräche mit dem damaligen Herrenchef­trainer Toni Giger waren von Anfang an immer auf Augenhöhe. Von dem her gab es überhaupt kein Problem.

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In einem anderen Bereich schon? Hirscher: Wenn irgendwer erfolgreic­h ist, dann heißt es gleich einmal, der Vater verbrennt seinen Buben, und, und, und. Aber ich war sehr behutsam mit ihm.

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Hatten Sie Zweifel? Hirscher: Eigentlich nie. Aus dem einfachen Grund, weil ich mich über Jahre so intensiv mit dem Skifahren beschäftig­t habe. Es gab den Trend von Mario Matt und den großen Athleten, sehr breit zu fahren und den Zug über den Außenski mitzunehme­n. Das war damals ein technische­s Leitbild. Ich habe zu Marcel gesagt: „Wir müssen das anders machen, du musst so breit, wie deine Hüfte ist, fahren, eine schmälere Skiführung wählen, weil so kannst du direktere Wege fahren.“Wenn man nicht so groß ist, ist das der richtige Weg. Mittlerwei­le ist Marcel ein technische­s Leitbild.

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Seine Sicherheit beim Fahren am Limit ist beeindruck­end. Haben Sie ihm diese stabile Technik beigebrach­t? Hirscher: Das technische Rüstzeug, die Stimmigkei­t auf beiden Seiten, die Rotationsb­ewegung und die Grundeinst­ellung in Perfektion, habe ich ihm beigebrach­t. Wir waren aber auch sehr oft im Turnsaal, Reckturnen, Barrenturn­en und mehr, um die sportmotor­ischen Fähigkeite­n und die Antizipati­on der Bewegung zu trainieren und zu verbessern.

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War früh erkennbar, dass er einen Drang zum Rennfahren hat? Hirscher: Einmal war es fast beängstige­nd, als der Bub von der Nachbarhüt­te und Marcel mit dem Mountainbi­ke talwärts unterwegs waren. Es war ein Wettrennen, sie sind ungebremst den Berg runtergedo­nnert. Am Abend ist er mit aufgeschür­ftem Oberschenk­el und komplett zerrissene­r Radhose dahergekom­men. Irgendwo in einer Kurve hat es sie rausgehaut. Das war irrsinnig schmerzhaf­t, aber er hat was gelernt.

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Was ist für Sie wichtig

im Leben? Hirscher: Gesundheit, Werte zu vermitteln und auch zufrieden zu sein, wenn es einmal nicht so läuft.

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Und Erfolg? Hirscher: Ich bin oft gefragt worden, ob ich glaubte, dass Marcel ein erfolgreic­her Rennfahrer wird. Ich habe nie mit dem Gedanken gespielt, weil mir ganz genau bewusst war, wie schwierig und steinig der Weg ist, wie leicht man sich verletzt und alles vorbei ist. Wenn der Erfolg nicht eintritt, dann darf man nicht enttäuscht sein, sondern muss einfach probieren weiterzuma­chen. Ein Spitzenspo­rtler hebt sich von den normalen Menschen nicht ab, er ist wie jeder andere. Nur dass er auf seinem Fachgebiet vielleicht das Glück hat, bessere Fähigkeite­n zu haben als andere.

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Ihre Erwartunge­n für

die WM? Hirscher: Wir gehen in die WM wie in jedes andere Rennen. Wir versuchen, uns bestmöglic­h vorzuberei­ten. Wenn man probiert, das Maximum auszureize­n, und es geht nicht gut, dann muss man das auch akzeptiere­n. Es kommt, wie es kommt.

FERDINAND HIRSCHER (63) war früher selbst Rennläufer, später Hüttenwirt. Er ist Skilehrer und der Mitbesitze­r einer Skischule in Annaberg-Lungötz.

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Vater, Mentor und Tüftler „Ferdl“Hirscher hat seinem Sohn Marcel nicht nur das Skifahren beigebrach­t.

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