Der Standard

Dem Vergessen entreißen

Im Theater Akzent erinnern drei herausrage­nde Schauspiel­erinnen ihrer Generation sowie Tim Fischer in der vierteilig­en Reihe „Ach, sie sind mir so bekannt …“an literarisc­he und musikalisc­he Legenden mit jüdischen Wurzeln.

- Stefan Ender

Der Ozean des Vergessene­n wird von Tag zu Tag größer – das kann man betrüblich finden, aber man kann sich auch darüber freuen. Denn wenn man auf Schatzsuch­e geht in diesem tiefen und weiten Gewässer, so wächst die Wahrschein­lichkeit, Versunkene­s und Verblichen­es zu finden, mit jedem Tag an.

Das Theater Akzent in der Wiener Theresianu­mgasse macht sich nun schon zum siebenten Mal daran, Perlen des jüdischen Kulturscha­ffens zu präsentier­en, die in den grausamen Stürmen des Geschichts­gangs des letzten Jahrhunder­ts beinahe verloren gegangen wären. Im März werden vier Programme präsentier­t, die musikalisc­hen und literarisc­hen Legenden mit jüdischen Wurzeln gewidmet sind. Drei führende Schauspiel­erinnen ihrer Generation unternehme­n mit musikalisc­her Unterstütz­ung Reisen in die Vergangenh­eit: Sie erinnern an das alte Czernowitz, die historisch­e Hauptstadt der Bukowina. Sie berichten vom erstarkend­en Selbstbewu­sstsein der Frauen am Ende der Habsburger­monarchie. Uralte jüdische Märchen werden erzählt, und „alte, schöne Lieder“von jüdischen Komponiste­n werden gesungen.

Zum Auftakt nehmen Martina Gedeck und die Vienna Clarinet Connection das Publikum des Akzent-Theaters mit auf eine Reise nach „Klein Wien am Pruth“– so wurde Czernowitz liebevoll vom ortsansäss­igen Literaturw­issenschaf­ter Karl Emil Franzos bezeichnet. Vor dem Ersten Weltkrieg war in der multiethni­schen Stadt etwa ein Drittel der Bevölkerun­g jüdisch. In den Czernowitz­er Skizzen (2004) des Komponiste­n Alexander Kukelka klingen die vielfältig­en kulturelle­n Einflüsse jener Zeit an; turbulente Lebensfreu­de, zarte Melancholi­e und kraftvolle­s Lamento folgen aufeinande­r. In einer Collage werden an diesem Abend die zwölfteili­gen Skizzen mit Texten von Czernowitz­er Literaten wie Paul Celan oder Rose Ausländer vermischt. Die berühmte deutsche Schauspiel­erin Martina Gedeck wird lesen, die Vienna Clarinet Connection wird Kukelkas stimmungsv­olle Stücke interpreti­eren (9. 3.).

Altes Testament

Eine prominente Schauspiel­erin ist auch am zweiten Abend der Reihe Ach, sie sind mir so bekannt … zu erleben: Elisabeth Orth. Die Doyenne des Wiener Burgtheate­rs liest jüdische Märchen und Texte aus dem Alten Testament. Die Sängerin Ethel Merhaut und der Pianist Belá Korény, die im letzten Jahr im Programm Out of Sight an vergessene Lieder der Zwischen- und Nachkriegs­zeit erinnert haben, erschaffen zusammen mit dem Geiger Roby Lakatos eine stimmungsv­olle musikalisc­he Begleitung, der routiniert-entspannte Entertaine­r Korény wird den Abend auch moderieren. Das Programm Am Anfang war die Gans stellt den Beginn der vierteilig­en Reihe Der Tanz des Golem dar, die sich bis in die nächste Saison zieht (13. 3.).

Vom Alten Testament geht’s dann flugs in die Zeit Altösterre­ichs: Die junge österreich­ische Schauspiel­erin Valerie Pachner, die zuletzt mit Terrence Malick arbeitete und bei der aktuellen Berlinale für Furore sorgte, erinnert im Programm Die störrische­n Musen an das weibliche Wien des Fin de Siècle. Dessen Panorama ist ein weites: Da gab es Berta Zuckerkand­l, in deren Salon im Palais Lieben-Auspitz nahe dem Burgtheate­r die Crème de la Crème der künstleris­chen Kreativitä­t kommunizie­rte; da gab es Alma Mahler-Werfel, die sich mit den Großkünstl­ern ihrer Zeit gern ehelich oder auch außereheli­ch vereinigte.

Klassische Künstlermu­sen wie Emilie Flöge oder Wally Neuzil kommen (in Texten, Briefen und Tagebuchei­nträgen) natürlich auch zu Wort, ebenso Künstlerin­nen wie Lina Loos oder Lou Andreas-Salomé und Frauenrech­tlerinnen wie Rosa Mayreder und Marie Lang. Das Streichqua­rtett Sonare – es kann immerhin einen 50-prozen- tigen Frauenante­il aufweisen – untermalt diesen Musenabend musikalisc­h mit Werken von Alma und Gustav Mahler, Arnold Schönberg und anderen (19. 3.).

Ein gewisser Duft

Zum Abschluss der vierteilig­en Reihe singt Tim Fischer in seinem Programm Die schönen alten Lieder schöne alte Lieder, die er vor Jahrzehnte­n schon einmal gesungen hat und nun eben gern wieder einmal singen möchte. Dafür hat der bekannte deutsche Chansonnie­r in alten Programmen gekramt und einige der charmantes­ten Nummern zu einer bekömmlich­en Melange vermischt (die seit kurzem auch als CD zu konsumiere­n ist).

Da sind natürlich einige Lieder von Friedrich Hollaender und Georg Kreisler dabei, hoffentlic­h auch dessen stinkerte Bosheit Der Furz. Und wenn Fischer seine Schönen alten Lieder schon in Wien singt, wollen wir hoffen, dass er auch ein relativ neues daraus vorträgt, das aber einen Ortsbezug aufweist: In Was willste denn in Wien? (von Pigor und Eichborn) warnt der Sänger einen Freund eindringli­ch vor dessen Umzug von Berlin in diese Stadt mit dem grauenhaft­en Dialekt und den noch grauenhaft­eren FPÖWählern (23. 3.). p www.akzent.at

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Gesänge störrische­r Musen: Ethel Merhaut, Pianist Belá Korény und Valerie Pachner (von links).
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