Dem Vergessen entreißen
Im Theater Akzent erinnern drei herausragende Schauspielerinnen ihrer Generation sowie Tim Fischer in der vierteiligen Reihe „Ach, sie sind mir so bekannt …“an literarische und musikalische Legenden mit jüdischen Wurzeln.
Der Ozean des Vergessenen wird von Tag zu Tag größer – das kann man betrüblich finden, aber man kann sich auch darüber freuen. Denn wenn man auf Schatzsuche geht in diesem tiefen und weiten Gewässer, so wächst die Wahrscheinlichkeit, Versunkenes und Verblichenes zu finden, mit jedem Tag an.
Das Theater Akzent in der Wiener Theresianumgasse macht sich nun schon zum siebenten Mal daran, Perlen des jüdischen Kulturschaffens zu präsentieren, die in den grausamen Stürmen des Geschichtsgangs des letzten Jahrhunderts beinahe verloren gegangen wären. Im März werden vier Programme präsentiert, die musikalischen und literarischen Legenden mit jüdischen Wurzeln gewidmet sind. Drei führende Schauspielerinnen ihrer Generation unternehmen mit musikalischer Unterstützung Reisen in die Vergangenheit: Sie erinnern an das alte Czernowitz, die historische Hauptstadt der Bukowina. Sie berichten vom erstarkenden Selbstbewusstsein der Frauen am Ende der Habsburgermonarchie. Uralte jüdische Märchen werden erzählt, und „alte, schöne Lieder“von jüdischen Komponisten werden gesungen.
Zum Auftakt nehmen Martina Gedeck und die Vienna Clarinet Connection das Publikum des Akzent-Theaters mit auf eine Reise nach „Klein Wien am Pruth“– so wurde Czernowitz liebevoll vom ortsansässigen Literaturwissenschafter Karl Emil Franzos bezeichnet. Vor dem Ersten Weltkrieg war in der multiethnischen Stadt etwa ein Drittel der Bevölkerung jüdisch. In den Czernowitzer Skizzen (2004) des Komponisten Alexander Kukelka klingen die vielfältigen kulturellen Einflüsse jener Zeit an; turbulente Lebensfreude, zarte Melancholie und kraftvolles Lamento folgen aufeinander. In einer Collage werden an diesem Abend die zwölfteiligen Skizzen mit Texten von Czernowitzer Literaten wie Paul Celan oder Rose Ausländer vermischt. Die berühmte deutsche Schauspielerin Martina Gedeck wird lesen, die Vienna Clarinet Connection wird Kukelkas stimmungsvolle Stücke interpretieren (9. 3.).
Altes Testament
Eine prominente Schauspielerin ist auch am zweiten Abend der Reihe Ach, sie sind mir so bekannt … zu erleben: Elisabeth Orth. Die Doyenne des Wiener Burgtheaters liest jüdische Märchen und Texte aus dem Alten Testament. Die Sängerin Ethel Merhaut und der Pianist Belá Korény, die im letzten Jahr im Programm Out of Sight an vergessene Lieder der Zwischen- und Nachkriegszeit erinnert haben, erschaffen zusammen mit dem Geiger Roby Lakatos eine stimmungsvolle musikalische Begleitung, der routiniert-entspannte Entertainer Korény wird den Abend auch moderieren. Das Programm Am Anfang war die Gans stellt den Beginn der vierteiligen Reihe Der Tanz des Golem dar, die sich bis in die nächste Saison zieht (13. 3.).
Vom Alten Testament geht’s dann flugs in die Zeit Altösterreichs: Die junge österreichische Schauspielerin Valerie Pachner, die zuletzt mit Terrence Malick arbeitete und bei der aktuellen Berlinale für Furore sorgte, erinnert im Programm Die störrischen Musen an das weibliche Wien des Fin de Siècle. Dessen Panorama ist ein weites: Da gab es Berta Zuckerkandl, in deren Salon im Palais Lieben-Auspitz nahe dem Burgtheater die Crème de la Crème der künstlerischen Kreativität kommunizierte; da gab es Alma Mahler-Werfel, die sich mit den Großkünstlern ihrer Zeit gern ehelich oder auch außerehelich vereinigte.
Klassische Künstlermusen wie Emilie Flöge oder Wally Neuzil kommen (in Texten, Briefen und Tagebucheinträgen) natürlich auch zu Wort, ebenso Künstlerinnen wie Lina Loos oder Lou Andreas-Salomé und Frauenrechtlerinnen wie Rosa Mayreder und Marie Lang. Das Streichquartett Sonare – es kann immerhin einen 50-prozen- tigen Frauenanteil aufweisen – untermalt diesen Musenabend musikalisch mit Werken von Alma und Gustav Mahler, Arnold Schönberg und anderen (19. 3.).
Ein gewisser Duft
Zum Abschluss der vierteiligen Reihe singt Tim Fischer in seinem Programm Die schönen alten Lieder schöne alte Lieder, die er vor Jahrzehnten schon einmal gesungen hat und nun eben gern wieder einmal singen möchte. Dafür hat der bekannte deutsche Chansonnier in alten Programmen gekramt und einige der charmantesten Nummern zu einer bekömmlichen Melange vermischt (die seit kurzem auch als CD zu konsumieren ist).
Da sind natürlich einige Lieder von Friedrich Hollaender und Georg Kreisler dabei, hoffentlich auch dessen stinkerte Bosheit Der Furz. Und wenn Fischer seine Schönen alten Lieder schon in Wien singt, wollen wir hoffen, dass er auch ein relativ neues daraus vorträgt, das aber einen Ortsbezug aufweist: In Was willste denn in Wien? (von Pigor und Eichborn) warnt der Sänger einen Freund eindringlich vor dessen Umzug von Berlin in diese Stadt mit dem grauenhaften Dialekt und den noch grauenhafteren FPÖWählern (23. 3.). p www.akzent.at