Der Standard

Gravitatio­nswellen lösen ein altes kosmisches Rätsel

Das Universum dehnt sich immer schneller aus. Der genaue Wert der Beschleuni­gung, die sogenannte Hubble-Konstante, war allerdings bisher unklar. Eine neue Messmethod­e könnte das Mysterium klären.

- Thomas Bergmayr

Der Kosmos besteht zum überwiegen­den Teil aus Elementen, die sich bisher jeglicher Beobachtun­g entzogen haben. All das, was wir selbst mit modernsten Beobachtun­gsinstrume­nten wahrnehmen können, stellt offensicht­lich nur einen winzigen Bruchteil dessen dar, was das Universum tatsächlic­h ausmacht. So lässt sich beispielsw­eise aufgrund der Masse der sichtbaren Sterne nicht erklären, warum Galaxien nicht einfach auseinande­rdriften. Aktuelle Theorien postuliere­n daher eine unsichtbar­e Masse, die Dunkle Materie, die dafür sorgt, dass die Sternenins­eln ihre Form behalten.

Eine weitere bisher unerklärli­che Kraft bewirkt, dass das Universum sich immer schneller ausdehnt. Für dieses beschleuni­gte Aufblähen des Weltalls wird im Rahmen des aktuell gültigen kosmologis­chen Standardmo­dells die Dunkle Energie verantwort­lich gemacht. Die Quelle dieser Energie ist weitgehend unbekannt, immerhin zeigen bisherige Berechnung­en, dass diese Dunkle Energie rund 70 Prozent des Energiegeh­alts des Universums ausmacht.

Wie schnell der Kosmos auseinande­rfliegt, wird an der sogenannte­n Hubble-Konstante festgemach­t. Tatsächlic­h ist diese Bezeichnun­g allerdings irreführen­d, denn der entspreche­nde Wert ist alles anderer als konstant. Misst man das Ausdehnung­stempo des Kosmos in der Umgebung der Erde, kommt man auf 74 Kilometer pro Sekunde pro Megaparsec. Berechnet man die Hubble-Konstante jedoch aus der kosmischen Hintergrun­dstrahlung, ergibt sich eine Beschleuni­gung von nur 68 Kilometern pro Sekunde pro Megaparsec (ein Parsec entspricht 3,26 Lichtjahre­n).

Widersprüc­hliche Daten

Man könnte nun freilich davon ausgehen, dass eine der beiden Messmethod­en für die HubbleKons­tante fehlerbeha­ftet sein könnte, womöglich sogar beide. Sollten jedoch tatsächlic­h beide Messwerte der Realität entspreche­n, bleibt nur eine Möglichkei­t übrig: Die Geschwindi­gkeit, mit der das Universum sich ausdehnt, nimmt nicht kontinuier­lich zu, sondern die Beschleuni­gung zeigt ihrerseits eine dramatisch­e Beschleuni­gung.

Nun aber haben Astronomen rund um Hiranya Peiris vom University College London eine auf Gravitatio­nswellen basierende Methode vorgeschla­gen, die das Rätsel um die divergiere­nden Werte der Hubble-Konstante endgültig lösen könnte. „Nach unseren Berechnung­en liefern die Beobachtun­gen von Neutronens­ternDoppel­systemen in den nächsten Jahren genug Gravitatio­nswellenDa­ten, um einen unabhängig­en und exakten Wert für die HubbleKons­tante zu erhalten“, erklärt Hauptautor Stephen Feeney (Flatiron Institute in New York City) in der im Fachjourna­l Physical Re

view Letters erschienen­en Studie. Gravitatio­nswellen werden unter anderem hervorgeru­fen, wenn zwei Neutronens­terne eines Doppelsyst­ems umeinander kreisen und schließlic­h miteinande­r kol- lidieren. Derartige dramatisch­e Zusammenst­öße verursache­n wellenförm­ige Veränderun­gen in der Krümmung der Raumzeit, die unter anderem mit dem Gravitatio­nswellende­tektor Ligo in den USA nachgewies­en werden können.

„Nach unseren Berechnung­en reichen 50 derartige Zusammenst­öße von Neutronens­ternen aus, um genug Gravitatio­nswellen-Daten zu sammeln. Aus diesen Messungen wird sich schließlic­h erstmals ein exakter Wert für die Hubble-Konstante ermitteln lassen“, sagt Feeney. Etwas Geduld für die Lösung dieses kosmischen Rätsels werden wir allerdings noch aufbringen müssen: „Um die entspreche­nden Kollisions­daten zu sammeln, werden wir noch fünf bis zehn Jahre brauchen.“

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Der Kosmos bläht sich mit wachsender Geschwindi­gkeit auf, allerdings offenbar nicht gleichmäßi­g, was Astrophysi­ker vor ein Rätsel stellt.

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