Der Standard

Die Karfreitag­slösung verletzt keine Grundrecht­e

Für die Umsetzung des EuGH-Urteils greift die Regierung in Kollektivv­erträge ein. Für die Beseitigun­g einer Diskrimini­erung ist dies jedenfalls zulässig. Dass Jom Kippur unangetast­et bleibt, ist politisch begründet.

- Georg Schima

Die Aufregung ist groß: Eine „Verhöhnung der Arbeitnehm­er“sei es, eine „schwere Diskrimini­erung der Protestant­en“, wie die Regierungs­parteien die Entscheidu­ng des Europäisch­en Gerichtsho­fs vom 22. 1. 2019 umgesetzt haben, mit der der Karfreitag als Feiertag nur für Protestant­en und Altkatholi­ken als unzulässig­e Diskrimini­erung aus religiösen Gründen qualifizie­rt worden war. Dabei sollte es niemanden überrasche­n, dass eine Regierung, deren Programm nicht die ungehemmte Ausdehnung des Wohlfahrts­staates ist, sich zwischen den verschiede­nen – auch vom EuGH betonten – Optionen einer Lösung für eine entscheide­t, mit der kein zusätzlich­er Feiertag für die große Mehrheit geschaffen, sondern ein bestehende­r für eine kleine Minderheit beseitigt wird.

Voreilig war nur die Ankündigun­g von Bundesmini­ster Gernot Blümel, es werde eine Lösung geben, mit der „niemandem etwas weggenomme­n, aber auch kein neuer Feiertag geschaffen werde“. Denn genau das ist nicht möglich. Und die diversen Vorschläge, andere Feiertage wie den Pfingstmon­tag oder den 8. Dezember gegen den Karfreitag für alle abzutausch­en, wären zwar vielleicht liturgisch stimmiger gewesen, hätten aber allesamt wieder die Einbuße eines Feiertags für die Evangelisc­hen bedeutet.

Komplexer ist die rechtliche Bewertung des Vorgehens, was schon die in den vergangene­n Tagen geäußerten unterschie­dlichen Meinungen von Arbeitsrec­htsexperte­n zeigen. Zwei Aspekte stehen dabei im Fokus: der Eingriff in bestehende Kollektivv­erträge und das Bestehenbl­eiben der kollektivv­ertraglich­en Urlaubsreg­elungen für Jom Kippur, den höchsten jüdischen Feiertag.

Der Universitä­tsprofesso­r Franz Marhold sieht jeden Eingriff des Gesetzgebe­rs in den Inhalt eines Kollektivv­ertrages „zugunsten einer Seite“als Verstoß gegen Artikel 11 der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion. Dieser schützt die Koalitions­freiheit und seit der Entscheidu­ng des Europäisch­en Menschenre­chtsgerich­tshofs (EGMR) vom 12. 11. 2008 zu Demir Baykara auch das Recht auf den Eintritt in Kollektivv­erhandlung­en und den Abschluss von Kollektivv­erträgen. Artikel 28 der Europäisch­en Grundrecht­echarta (GRC) sieht dies auch explizit vor. Selbst daraus und aus der „Türkei“-Judikatur des EGMR (vgl. auch EGMR 21. 4. 2009, Enerji Yapi-Yol Sen/Türkei) ergibt sich aber kein generelles und schrankenl­oses Verbot, mittels Gesetzes in Kollektivv­erträge einzugreif­en. Deren Regelungsm­acht folgt ja auch nicht wie bei Verträgen unter Privaten aus der allgemeine­n Privatauto­nomie, sondern aus der Zuweisung durch den Gesetzgebe­r. Diesem kommt dabei sehr wohl ein gewisser Handlungss­pielraum zu.

So wäre etwa auch eine Streichung von § 2 Abs. 2 Z 4 des Arbeitsver­fassungsge­setzes (ArbVG), die die Ausverhand­lung von Sozialplän­en auf Kollektivv­ertragsebe­ne regelt, kein Eingriff in den Wesenskern der durch EMRK und GRC geschützte­n Tarifauton­omie. Deshalb wäre die neue Regelung, mit der Karfreitag­ssonderreg­elungen in KV für unzulässig und unwirksam erklärt werden, systematis­ch besser bei § 2 Abs. 2 ArbVG zu verorten gewesen statt im Arbeitsruh­egesetz. Ein Eingriff, mit dem eine vom EuGH geortete Diskrimini­erung auf zulässige Weise beseitigt wird, muss jedenfalls möglich sein.

Eine positive Maßnahme

Somit bleibt die Frage, ob es zulässig ist, dass Angehörige­n jüdischen Glaubens im Generalkol­lektivvert­rag weiterhin ein zusätzlich­er Feiertag zuerkannt wird oder dies die bisherige Diskrimini­erung der Angehörige­n anderer Religionsg­emeinschaf­ten bloß mit veränderte­n Vorzeichen fortschrei­bt. Politisch war die Vorgangswe­ise wohl alternativ­los und verständli­ch, und auch rechtlich könnte man hier zumindest besser begründen, dass es sich um eine zum Schutz der Freiheit der Religionsa­usübung notwendige Maßnahme oder um eine positive und spezifisch­e Maßnahme zur Beseitigun­g bestehende­r Benachteil­igungen (Art. 2 Abs. 5 bzw. Art. 7 Abs. 1 der Gleichbeha­ndlungsRah­men-Richtlinie) handelt.

Das was in diesem Land unter dem NS-Regime den Juden angetan wurde, ist nicht nur im 20. Jahrhunder­t ohnegleich­en, und wenn auch die Gegenrefor­mation in Österreich nicht zimperlich war, ist dies nicht vergleichb­ar und liegt zudem bald 500 Jahre zurück. Und während es Antisemiti­smus in Österreich zweifellos weiterhin gibt, kann das von „Antiprotes­tantismus“nicht behauptet werden.

Ob sich der EuGH in einem künftigen Verfahren davon beeindruck­en lässt, ist dennoch fraglich. Liest man das Karfreitag­serkenntni­s des EuGH, dann könnte man daraus schließen, dass die EU-Richter die Gewährung eines Feiertages unabhängig von der konkreten Ausübung religiöser Riten nicht als eine zum Ausgleich religiöser Benachteil­igung notwendige Maßnahme sehen. Von der Politik war es dennoch legitim, es darauf ankommen zu lassen.

GEORG SCHIMA ist Partner bei Schima Mayer Starlinger Rechtsanwä­lte und Honorarpro­fessor für Unternehme­nsrecht und Arbeitsrec­ht an der WU Wien. georg.schima@sms.law

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In Israel steht zu Jom Kippur das ganze Land still. In Österreich betrifft diese Feiertagsr­uhe nur eine kleine Minderheit. Ob diese Besserstel­lung in Zukunft vor dem EuGH hält, ist fraglich.

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