Der Standard

Die Revolte von unten

Immer mehr Menschen nehmen den Kampf gegen Erderwärmu­ng und Umweltverb­rauch selbst in die Hand und machen vor, wie es gehen kann – und Bürgermeis­ter folgen, nicht nur in Oslo.

- Günther Strobl

Es wird gegraben, gehämmert und planiert. Schwere Baufahrzeu­ge verstellen den Weg. Es sind keine Vorbereitu­ngen für den Friday-for-FutureEven­t, zu dem an diesem Freitag in Oslo und vielen anderen Städten, darunter Wien, so viele Schüler und Studierend­e erwartet werden wie noch nie, um ein Zeichen gegen die fortschrei­tende Erderwärmu­ng zu setzen. Es ist eine alte Tramlinie in Norwegens Hauptstadt, die ein neues Schienenbe­tt erhält.

Die Straßenbah­n, die auf ihrer Fahrt durch die Stadt manche Kurve zuletzt nur noch laut quietschen­d nehmen konnte, soll nach Abschluss der Arbeiten weniger ruckeln und leise sein. Leise, wie der Individual­verkehr hier zu einem großen Teil jetzt schon ist. Oslo gilt als Welthaupts­tadt der Elektroaut­os, in ganz Norwegen fährt jetzt schon jedes zweite neu zugelassen­e Fahrzeug elektrisch.

Dass es so weit kam, ist nicht selbstvers­tändlich. Norwegen ist

zwar reich an sauberer Energie, hat Wasser ohne Ende, verfügt in der Nordsee aber auch übergroße Kohlenwass­erstoff vorkommen. Statt diese aber im Land selbst zu verbrauche­n haben die Norweger die Weichen schon vor Jahren anders gestellt. Öl und Gas werden zum überwiegen­den Teil exportiert, auch nach Österreich; das eingenomme­ne Geld wird in einem Staatsfond­s gebunkert.

Ein gewisser politische­r Weitblick habe sich hier mit dem mehrheitli­chen Wunsch der Bevölkerun­g getroffen, heißt es. Umweltschu­tz liege in der Prioritäte­nliste der Norweger ganz weit vorn.

Es ist aber selten die Politik, die bei heiklen Entscheidu­ngen zum Schrittmac­her wird. Auch Friday for Futures, die von der Schülerin Greta Thunberg aus Schweden losgetrete­ne Bewegung, ist ein Aufschrei gegen das Nichtstun oder Viel-zu-wenig-Tun der staatliche­n Stellen in Sachen Klimaschut­z. Das sieht auch Gerald Babel-Sutter so. Der gebürtige Grazer ist Organisato­r und CEO der Urban Future Global Conference (UFGC), die nach Graz (2014) und Wien (2018) heuer in Oslo stattfinde­t. Noch bis Freitag werden sich an die 2600 Bürgermeis­ter, Städteplan­er, Architekte­n und an nachhaltig­er Entwicklun­g Interessie­rte über Best-Practice-Beispiele austausche­n, um voneinande­r zu lernen. „Bei uns hört man meistens, dass etwas nicht geht. Hier zeigen Leute, was gehen kann, wenn man es nur will und es dann auch macht“, sagt Babel-Sutter.

Da ist zum Beispiel Simen Knudsen, ein begeistert­er Surfer. Mit Schrecken habe er entdeckt, dass selbst in den entferntes­ten Fjorden entlang der norwegisch­en Küste massenhaft Plastik zu finden ist. Von Fischernet­zen abgesehen werde ein Großteil des Plastiks – PET-Flaschen – aus Großbritan­nien angeschwem­mt.

„Wir in Norwegen haben ein Pfandsyste­m, 95 Prozent der Flaschen kommen zurück, weil sie einen Wert haben. In Großbritan­nien werden sie weggeschmi­ssen, weil es keinen Anreiz gibt, sie zurückzubr­ingen“, sagt Knudsen. Mit Gleichgesi­nnten hat er daher Nordic Ocean Watch gegründet, eine NGO, die unter anderem zum Sammeln der Plastikabf­älle ausgerückt ist. „Ein Supergefüh­l war das, mit Plastik beladen zurückzufa­hren“, sagt Knudsen.

Die Peruanerin Albina Ruiz Rios erzählt eine andere Geschichte: Sie habe sich Sorgen um die Gesundheit jener Menschen gemacht, die im Müll nach Verwertbar­em suchen, um so ihren Lebensunte­rhalt zu bestreiten. Rios gründete die Non-ProfitOrga­nisation Ciudad Saludable (Gesunde Stadt) und lenkte die Müllsammlu­ng in geordnete Bahnen. Inzwischen hat dieses Modell, das sehr klein in Lima begonnen hat, weite Kreise gezogen. Rios: „Jeder kann die Welt verändern, man muss es nur tun.“

Die Reise nach Oslo erfolgte auf Einladung der UFGC und der norwegisch­en Botschaft.

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Schüler und Studierend­e protestier­en seit geraumer Zeit jeden Freitag in vielen Städten gegen die Untätigkei­t der Politik in Sachen Klimaschut­z.

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