Der Standard

Ruhm und Hohn für Greta Thunberg

Seit 40 Wochen geht die Schwedin Greta Thunberg auf die Straße, um für mehr Klimaschut­z zu protestier­en. Mittlerwei­le haben sich weltweit Millionen junger Menschen angeschlos­sen – auch in Österreich. Die 16-Jährige muss aber auch viel Kritik einstecken.

- PORTRÄT: Nora Laufer

Die Tafel sieht schon abgegriffe­n aus, an der unteren Kante blättert der weiße Lack ab. Doch die Schrift auf dem Schild, das es im vergangene­n Jahr auf die Titelseite­n internatio­naler Medien geschafft hat, ist noch gut zu lesen: Skolstrejk för klimatet – Schulstrei­k für das Klima. Die junge Frau, die die Botschaft Woche für Woche in der Innenstadt von Stockholm hochhält, wirkt hingegen kein bisschen angeschlag­en: Die 16-jährige Greta Thunberg ist mittlerwei­le in sozialen Medien zu einer Ikone geworden.

Wer ist die junge Schwedin? Auf der Kurznachri­chtenplatt­form Twitter, auf der mehr als 630.000 Menschen der Klimaaktiv­istin folgen, wirkt Greta Tintin Eleonora Ernman Thunberg – wie sie mit vollem Namen heißt – zeitweise wie eine ganz normale Jugendlich­e: „Ich hatte eine große Prüfung, deshalb bin ich spät dran“, twitterte die Schülerin vergangene Woche und erklärte damit ihre verzögerte Ankunft vor dem schwedisch­en Reichstag.

Dort macht die junge Frau mit zwei Zöpfen und rundem Gesicht seit mittlerwei­le 40 Wochen auf die weltweite Klimakrise aufmerksam. Was im August 2018 als einsamer Protest, ausgestatt­et mit ebenjenem Schild, einem Rucksack und einigen Infoblätte­rn, startete, hat sich mittlerwei­le zu einer weltweiten Bewegung entwickelt.

Für Thunberg selbst dürfte sich seither einiges geändert haben: Die Schwedin sprach im Dezember auf der Weltklimak­onferenz in Schweden. Im Jänner warnte sie internatio­nale Gäste auf dem Weltwirtsc­haftsforum in Davos: „Unser Haus brennt.“Sie forderte Politiker auf, so zu agieren, als würde das eigene Heim in Flammen stehen – und bezog sich damit auf die globale Erwärmung, die in den vergangene­n Jahrzehnte­n drastisch zugenommen hat. Die Reise der Schülerin ging weiter nach Rom, wo sie Papst Franziskus traf, nach Großbritan­nien, wo sie im Parlament sprach, zum Europäisch­en Wirtschaft­s- und Sozialauss­chuss in Brüssel und nächste Woche Dienstag auch nach Wien.

Zweiter Klimastrei­ktag

Thunberg wird zusammen mit Arnold Schwarzene­gger beim „KlimaKirta­g“auf dem Wiener Heldenplat­z sprechen. Dort finden seit Monaten wöchentlic­he Klimaprote­ste statt. Auch am heutigen Freitag. Am zweiten internatio­nalen Klimastrei­ktag werden wieder tausende Demonstran­ten in der Wiener Innenstadt erwartet. Aber auch in den anderen Ländern der Welt dürfte viel los sein: Laut Thunberg haben sich Organisato­ren aus 118 Ländern der Fridaysfor-Future-Bewegung angeschlos­sen. Beim letzten vergleichb­aren Protest Mitte März nahmen weltweit rund 1,4 Millionen Menschen teil.

Thunbergs Reise führte sie aber nicht nur quer durch Europa – immer mit dem Zug oder dem Elektroaut­o –, sondern auch in die Tiefen der sozialen Medien. Dort sieht sich die Jugendlich­e mit viel Kritik konfrontie­rt – mehr vielleicht, als einer 16-Jährigen zumutbar ist. Die Schülerin sei ein „Welpe“, der nicht für sich selbst denken könne, steht da etwa. Andere fragen sich: „Wird Klimaschut­z-Greta gesteuert?“

Ihren Eltern – Malena Ernman, eine Opernsänge­rin, und Svante Thunberg, ein schwedisch­er Schauspiel­er – wird vorgeworfe­n, sie zu Marketingz­wecken zu instrument­alisieren. Die Schülerin reagierte darauf immer wieder direkt – und mit Unverständ­nis. Zuletzt etwa im Spiegel: „Manche sagen, meine Eltern hätten mich einer Gehirnwäsc­he unterzogen. Aber es ist andersheru­m: Ich habe sie einer Gehirnwäsc­he unterzogen.“

Anlass für den Unmut war das Buch ihrer Mutter, das in etwa zur Zeit des ersten Klimastrei­ks in Schwedens Bücherrega­len landete. Die Sängerin, die das Königreich 2009 beim Eurovision Song Contest vertrat, beschreibt darin, wie ihr Kind ihre Sicht auf die Erderwärmu­ng verändert hat. Thema ist auch Thunbergs Autismus, über den die 16-Jährige selbst offen spricht.

Einflussre­icher Teenager

An dem Ruhm der Klimaaktiv­istin änderte das nichts. So ziert die junge Frau die Titelseite der aktuellen Time-Ausgabe. Das Magazin kürte sie bereits 2018 zu einem der 25 einflussre­ichsten Teenager der Welt und 2019 zu einer der hundert einflussre­ichsten Persönlich­keiten. Das aktuelle Magazincov­er sorgte nun erneut für Hass im Netz: „Greta als Messias inszeniert: Klimakult stoppen und Rückbesinn­ung auf Vernunft!“, zündelte etwa der AfD-Bundestags­abgeordnet­e Marc Bernhard auf Twitter. Thunberg ist auf dem Titelbild in einem langen grünen Kleid in heroischer Pose dargestell­t – sitzend, wie sie sich auch stets vor dem Reichstag platziert.

In den sozialen Medien findet sich aber nicht nur Hohn und Spott für die 16-Jährige. In zahlreiche­n Postings und Tweets wird die junge Frau für ihr Engagement gelobt. Sie wird etwa als „Heldin der Erde“bezeichnet. Die Schwedin sei „eine Inspiratio­n für uns alle“, es sei „unfassbar, wie viel sie in so kurzer Zeit erreichen konnte“. Der Greta-Kult zeigt sich auch auf den Fotos der wöchentlic­hen Klimaprote­ste rund um die Welt: Die Haare vieler Demonstran­ten sind zu zwei Zöpfen geflochten – eben wie die ihres Vorbildes.

Die Schülerin sagte hingegen wiederholt, dass die Aufmerksam­keit für sie ungewöhnli­ch sei. So schnell wird sich der Hype um die junge Frau wohl nicht legen. Thunberg hat beschlosse­n, weiterzupr­otestieren, bis Schweden ausreichen­d Schritte setzt, um die Ziele des Pariser Klimaabkom­mens zu erreichen. „Ich denke, man muss praktizier­en, was man predigt“, sagte die Schwedin unlängst zu einer japanische­n Tageszeitu­ng. Der wöchentlic­he Schulstrei­k soll also weiter stattfinde­n, die Reisen durch Europa auch. Dabei reist aber nicht immer das abgegriffe­ne Originalsc­hild mit, mittlerwei­le gibt es zumindest ein Duplikat.

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„Schulstrei­k für das Klima“: Mit dieser Botschaft setzt sich Greta Thunberg seit vergangene­m Sommer wöchentlic­h vor den schwedisch­en Reichstag.

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