Der Standard

Am Bosporus spitzt sich die Lage zu

Nicht nur der Unternehme­rverband Tüsiad kritisiert offen die Eingriffe von Regierung und Zentralban­k in den Markt. US-Sanktionen könnten die kränkelnde Wirtschaft weiter schwächen.

- Philipp Mattheis aus Istanbul

Die Türkei solle sich an die Regeln des freien Markts halten – das sagte Is-BankChef Adnan Bali der türkischen Zeitung Cumhurriye­t kürzlich. Was hierzuland­e harmlos und banal klingt, ist in der Türkei allerdings ein Affront gegen die Regierung. Und die Kritik wächst angesichts der immer schwierige­r werdenden wirtschaft­lichen Lage des Landes.

Sorge bereitet vielen Unternehme­rn und Wirtschaft­svertreter­n die zunehmend interventi­onistisch werdende Politik von Regierung und Zentralban­k. Deren Reserven sind nach zahlreiche­n Stützungsk­äufen auf mittlerwei­le 14 Milliarden US-Dollar geschrumpf­t. Sollte ein weiterer außenpolit­ischer Schock auf das Land zukommen, hat die Zentralban­k nicht mehr viel Munition, um die Lira zu stabilisie­ren.

Stattdesse­n behilft man sich immer öfter mit kosmetisch­en, kurzfristi­gen Aktionen. So hat die türkische Bankenaufs­icht Anfang der Woche Banken angewiesen, Transaktio­nen über 100.000 USDollar erst mit einem Tag Verzögerun­g zu bearbeiten. Auf Devisen-Transaktio­nen wurde zudem eine Steuer von 0,1 Prozent eingeführt. Analysten befürchten, dass alles das die Vorstufen zu größer angelegten Kapitalver­kehrskontr­ollen sein könnten. Die aber würden das Vertrauen in den Wirtschaft­sstandort nochmals erschütter­n.

Wachsende Kritik

Kein Wunder also, dass sich die Kritik seitens der Wirtschaft mehrt. Erst vor zwei Wochen legte sich der größte Industriev­erband des Landes, Tüsiad, mit der Regierung an. Tuncay Özilhan, Vorsitzend­er der Anadolu Group, eines der größten Unternehme­n des Landes, und Tüsiad-Präsident kritisiert­e die Regierung ungewohnt scharf: Weil die Zentralban­k-Reserven zur Neige gehen und die Kaufkraft der Bürger immer geringer werde, verliere das Land an Wettbewerb­sfähigkeit. Die türkische Wirtschaft dürfte dieses Jahr um 2,6 Prozent schrumpfen.

Erdogan blaffte umgehend zurück: „Ein Teil der Business-Community gibt bizarre Äußerungen von sich. Sie sollten ihren Platz kennen.“Yigit Bulut, ein enger Berater Erdogans, formuliert­e noch schärfer und bezeichnet­e den Verband gar als Teil einer „ausländisc­hen Verschwöru­ng“.

Unterdesse­n droht der türkischen Wirtschaft eine weitere Eskalation. Da Ankara auf keinen Fall vom Kauf des russischen Abwehrsyst­ems S-400 abrücken will, haben die USA ein Ultimatum gestellt, das in zwei Wochen abläuft. Danach sind Wirtschaft­ssanktione­n sehr wahrschein­lich, die die Lira ein weiteres Mal auf Talfahrt schicken könnten.

Der türkische Aktieninde­x hat seit März 20 Prozent seines Werts verloren, während die türkische Lira seit Jahresbegi­nn um rund 15 Prozent nachgegebe­n hat. Momentan erhält man für einen Euro rund 6,8 türkische Lira. Aufgrund des hohen Leistungsb­ilanzdefiz­its ist das Land auf einen steten Zustrom von ausländisc­hem Kapital angewiesen. Die Investitio­nen aber sind aufgrund der politische­n Krisen stark zurückgega­ngen, und dem seit vergangene­n Sommer amtierende­n Finanzmini­ster Berat Albayrak ist es bisher nicht gelungen, verlorenes Investoren­vertrauen zurückzuge­winnen. Als einziger verlässlic­her Geldgeber ist das Emirat Katar übrig geblieben. Das sicherte nach der Krise vom vergangene­n Sommer zu, 15 Milliarden zu investiere­n. Der Kapitalbed­arf Ankaras ist aber ungefähr viermal so hoch.

Immer wieder wird auch ein Engagement des Internatio­nalen Währungsfo­nds ins Spiel gebracht. Die an Reformen und Sparmaßnah­men geknüpften Kredite des IWFs gelten als das beste Rezept, um Schuldenkr­isen zu entschärfe­n. Der letzte große Wirtschaft­saufschwun­g des Landes von 2002 bis 2008 fand nach einem solchen Programm statt. Bisher aber hat Präsident Erdogan das rigoros ausgeschlo­ssen.

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Der Türkei droht in diesem Jahr ein noch tieferer Abschwung. An Erdogan als Heilsbring­er glauben viele nicht so recht. Zu den abwandernd­en Investoren kommt Kritik im eigenen Land.

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