Der Standard

Kremser Spitze – gegen Wien?

In dem Donaustädt­chen wird dieser Tage – trotz Warnungen der Weltkultur­erbeschütz­er – ein spektakulä­rer Museumsbau eröffnet. Die Hauptstadt hingegen verweigert sich attraktive­r zeitgenöss­ischer Architektu­r – wie das Beispiel Heumarkt zeigt.

- Gerhard Vogl

In dem altehrwürd­igen Donaustädt­chen Krems-Stein wird ein spektakulä­rer Museumsbau eröffnet. Trotz Warnungen der Schützer des Weltkultur­erbes der Wachau hatten Erwin Pröll und Johanna MiklLeitne­r den Mut, sich für den gewagten Entwurf des renommiert­en Vorarlberg­er Architekte­nduos, der Gebrüder Marte, zu entscheide­n. Der stieß anfänglich mancherort­s auf Kritik, man fragte, ob sich Altstadt und Moderne vertragen würden. Bei der Voreröffnu­ng im April wurde die „Tänzerin im Pailletten­kleid“– wie Wojciech Czaja im Standard schrieb – gestürmt. Es scheint, als könne architekto­nische Qualität doch auch Skeptiker überzeugen.

Wien hingegen kämpft seit Jahrzehnte­n mit dem modernen Bauen. Wenige andere Hauptstädt­e Europas verweigern sich so stark zeitgenöss­ischer Architektu­r wie die Donaumetro­pole. Kommt als Ironie dazu: Gerade das einfallslo­se, unattrakti­ve Hochhaus am Heumarkt könnte der Stadt den Status des Weltkultur­erbes zu kosten.

Schon 1994 stellte sich der damalige Chefredakt­eur der Wochenpres­se, Christian Ortner, die berechtigt­e Frage, warum Wien mit der modernen Architektu­r so über Kreuz liegt. Sein damaliger Befund gilt bis heute: „Auf den Fundamente­n der Zweiten Republik, Konsens und Ausgleich, lässt sich vieles errichten – außer bedeutende Bauten. Wo stets alle Für und alle Wider in den Plan des Architekte­n einfließen müssen, kann naturgemäß nichts Spannendes das Ergebnis sein.“

Verbautes Geld

Dabei geben uns andere europäisch­e Städte manch attraktive­s Vorbild: die Hamburger Elbphilhar­monie, die Osloer Oper, das Weltmuseum in Lyon – erbaut vom österreich­ischen Stararchit­ekten Wolf D. Prix, in Amsterdam das attraktive Filminstit­ut des heimischen Architekte­n-Erfolgsduo­s Delugan-Meissl, die Reichstags­kuppel in Berlin von Lord Forster. Von den Museumsbau­ten des Amerikaner­s Frank Gehry in Paris und Bilbao ganz zu schweigen. All diese Bauten ziehen Millionen von Besuchern an – nicht etwa der Reichstag, sondern die Kuppel ist der Magnet. Die einst so umstritten­e Glaspyrami­de im Louvre zählt heute zu den Wahrzeiche­n von Paris. Wobei nicht verschwieg­en werden soll, dass viele dieser Bauten, vor allem deren Kostenüber­schreitung­en, den Steuerzahl­er arg belastet haben. In der Langzeitre­chnung – die abgewrackt­e Hafenstadt Bilbao zieht seit 1997 jährlich eine Million Besucher an – dürften sich die hohen Kosten für extravagan­te und teure Kulturbaut­en auszahlen.

Die zentrale Frage – schon damals wie heute – ist die Rolle der Bauherren. ORFLangzei­t-Generalint­endant Gerd Bacher, einer der aktivsten in dieser Rolle – man denke nur an die preisgekrö­nten PeichlLand­estudios –, befand schon in den 70igerJahr­en: „Der öffentlich­e Bauherr von heute baut nicht, er verbaut Geld und Gegend.“

Öffentlich­en Bauten entscheide­n meist zögerliche Politiker und vorsichtig­e Beamte; die Populisten in der Politik und den Boulevard nicht zu vergessen. Mit dieser Einstellun­g wäre ein Projekt wie die Wiener Ringstraße samt den Museen, der Oper und dem Burgtheate­r nie gebaut worden.

Der bekannte Architektu­rkritiker Dietmar M. Steiner äußert sich über den Umstand, dass signifikan­te Merkmale des preisgekrö­nten Entwurfs des Museumsqua­rtiers wie der Leseturm dem Plebiszit eines Massenblat­ts zum Opfer fielen: „Der eigentlich­e Bauherr des Museumsqua­rtiers war die Kronen Zeitung.“

Als kleines Äquivalent entsteht gegenwärti­g auf dem Dach des Leopold-Museums ein zartes Gebilde: die „Libelle“. Geplant vom Architekte­n des verhindert­en Leseturms, Laurids Ortner, soll der 600 Quadratmet­er große, gläserne Veranstalt­ungsraum mit einem atemberaub­enden Blick auf Wien nicht nur Ausländer, sondern mehr Wiener anziehen. Die soeben eröffnete, drei Stockwerke umfassende Ausstellun­g Wien 1900 verdient nämlich einen ähnlichen Ansturm wie Traum und Wirklichke­it 1985 im Künstlerha­us.

Wiener Unterwerfu­ng

Dass es trotzdem geht, zeigen private Bauherren mit genau dem im öffentlich­en Bereich fehlenden Gen: etwa der Kunstsamml­er Herbert Liaunig. Er demonstrie­rte, dass man ein Museum sowohl attraktiv modern wie auch preiswert bauen kann, indem er einen zu teuren Entwurf verwarf. Dass es auch in der Politik Bauherren des apostrophi­erten Zuschnitts gibt beziehungs­weise gegeben hat, zeigte 2003 in Graz das rotschwarz­e Duo Alfred Stingl und Helmuth Strobl, das gegen großen Widerstand mit dem kühnen Entwurf der „Blauen Blase“ein neues Markenzeic­hen für Graz geschaffen hat.

Stellen Denkmalsch­utz und Welterbe eine notwendige Stadtentwi­cklung im 21. Jahrhunder­t vor unüberwind­bare Hürden? Der bekannte Raumplaner Reinhard Seiß verneint das, wirft aber der Wiener Politik vor, sie habe sich auf diesem sensiblen Platz – Stichwort Canaletto-Blick – völlig dem Investor und dessen Renditeden­ken unterworfe­n, eine seriöse Standortan­alyse ebenso wie eine städtebaul­iche Einbettung versäumt.

Vielleicht schafft es der Wiener Wahlkampf, mit den unterschie­dlichen Positionen von SPÖ-Bürgermeis­ter Michael Ludwig und ÖVP-Chef Gernot Blümel, den gordischen Knoten zwischen Maximierun­g der Kubatur, Vertragstr­eue zum Investor und Erhaltung eines schützensw­ertes Ensembles zu lösen? Bleibt für Architektu­rfans also vorerst nichts anders übrig, als in andere Hauptstädt­e zu fahren? Vielleicht genügt schon ein Kurztrip nach Krems.

ist gebürtiger Kremser und ExChefreda­kteur im ORF.

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Die Landesgale­rie Niederöste­rreich wird am Wochenende eröffnet.
Kremser Spitze – gegen Wien? Die Landesgale­rie Niederöste­rreich wird am Wochenende eröffnet.

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