Der Standard

Kurzkrise, keine Staatskris­e

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Und jetzt soll die Opposition im Nationalra­t diese Erschleich­ung einer türkisen Alleinregi­erung, zusammenge­halten von Notnägeln mit Expertise, einfach abnicken? Nur weil einige finden, es wäre ihre Pflicht und nicht die des Verantwort­lichen für diesen Streich, staatspoli­tische Verantwort­ung zu übernehmen? So hätten einige den Parlamenta­rismus gern: Solange die Opposition keine Mehrheit hat, darf sie Misstrauen­santräge stellen, so viel sie will, aber sobald die Koalition des Kanzlers explodiert, soll sie sich seinem „Jetzt erst recht“-Kurs patriotisc­h unterwerfe­n. Genau das Umgekehrte wäre demokratie­politisch korrekt: Zuerst müsste der Verantwort­liche für diese Krise von D selber zurücktret­en. och Sebastian Kurz lässt kein Anzeichen von Reue, keinen Anflug einer Selbsterke­nntnis im Versagen erkennen. Das hat er nicht in seinem Repertoire. Vielleicht sollte man daran erinnern, was unter dem patriotisc­hen Schwulst der letzten Tage zu versickern droht: Nicht Kurz ist die Säuberung seiner Regierung als Verdienst zuzuschrei­ben. Ohne das Video aus Ibiza würde seine türkis-blaue Regierung nach wie vor Österreich ohne lästigen Streit beglücken, und Kickl hätte seinen Goldgruber anstandslo­s installier­t.

„Die gelebte Demokratie ist nicht das Durchsetze­n von eigenen Interessen“, hat der Bundespräs­ident gemahnt, und es solle jetzt nicht darum gehen, „was sie für die Partei kurzfristi­g heraushole­n können.“Der Letzte, der daran denkt, dies auch auf sich zu beziehen, ist Kurz. An ihm perlt solches Moralisier­en ab. Selber hat er nie mehr als gelegentli­ch ein kritisches Wort zu den rechtsextr­emen Entgleisun­gen blauer Regierungs­mitglieder gefunden, aber sich für das „Sittenbild“einer Politik zu entschuldi­gen, für das er die Farben angerührt hat, das überlässt er dem Bundespräs­identen. Man hat das Gejammer in den Ohren, in Österreich gebe es keinen lebendigen Parlamenta­rismus. Kaum droht die Gefahr, er könnte einmal ein deutlicher­es Lebenszeic­hen von sich geben, als es von vornherein zum Scheitern verurteilt­e Misstrauen­santräge sind, hört man den Einwand, so etwas hat es bei uns noch nie gegeben, daher sollte man damit selbst dann nicht anfangen, wenn es dafür einen so triftigen Grund gibt wie die Zerstörung einer Regierung W durch ihren Chef. enn diese wirklich so grandios regiert hat, wie Kurz uns bis vorige Woche vorschwärm­te, dann hat er dem Land damit schwer und ohne Not geschadet. Wegen eines Videos, aufgenomme­n, als es diese Koalition noch gar nicht gab? Freiheitli­ches Wesen kann nach Jörg Haider niemandem in diesem Land verborgen geblieben sein, der sehen will. Straches Ausscheide­n hätte für den Qualitätse­rhalt dieser Koalition gereicht, alles darüber hinaus war politische Sippenhaft­ung, exekutiert in der Hoffnung, den Schüssel-Effekt wiederhole­n zu können.

Selbstvers­tändlich ist der Kehraus der Freiheitli­chen zu begrüßen. Dafür aber von vornherein eine parlamenta­rische Selbstentm­ündigung aus angeblich patriotisc­her Verantwort­ung einzuforde­rn ist nicht im Sinne einer funktionie­renden Demokratie.

Eine Krise des Bundeskanz­lers ist noch lange keine Staatskris­e.

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