Der Standard

Ein sachliches Dilemma

- Petra Stuiber

Nicht nur die Chefin der größten Opposition­spartei, auch ihr politische­r Hauptgegne­r, ÖVP-Chef und Bundeskanz­ler Sebastian Kurz, kann es seinen Gegnern nicht recht machen. Kurz’ Vorteil ist freilich, dass diese Gegner nicht in den eigenen Reihen sitzen – derzeit zumindest. Kurz solle auf die Opposition zugehen, sagen seine Kritiker: Statt ihnen inhaltlich und vor allem personell entgegenzu­kommen, habe er die nach dem Rücktritt der FPÖ-Minister frei werdenden Ressorts mit seinen türkisschw­arzen Vertrauten besetzt. Eine „feindliche Übernahme“sei das, schäumt es aus der FPÖ, ein „mehr als unfreundli­cher Akt“, heißt es aus SPÖ-Kreisen.

Allerdings: Was hätte Kurz tun sollen? Die FPÖ-Parteigäng­er in den Kabinetten belassen? Das wäre eine unzumutbar­e Belastung für die neuen Minister geworden, die unabhängig und objektiv weiterarbe­iten sollen.

Hätte Kurz SPÖ-, Neos- und Liste-Jetzt-Vertraute in die Kabinette berufen sollen, um die Opposition zufriedenz­ustellen? Das ist zwar eine schöne Vorstellun­g, hätte aber wohl alle überforder­t: Woher diese Leute von heute auf morgen nehmen, wie sie von ihren bisherigen Jobs loseisen? Wie sollen diese Neulinge so schnell das Vertrauen der Beamtensch­aft in den jeweiligen Ministerie­n aufbauen?

Insofern verwundert es kaum, dass sich Kurz für seine eigenen Vertrauens­leute entschied. Ihn deswegen als Kanzler zu stürzen ist nicht einmal aus freiheitli­cher Sicht besonders schlau. Denn abgesehen von den Hardcore-FPÖStammwä­hlern vergrault man damit all jene, die beim letzten Mal Türkis oder Blau gewählt haben, weil sie sich Veränderun­g wünschen. Beleidigt sein wegen eines verlorenen Postenscha­chers ist das Gegenteil von „neu regieren“.

Dazu kommt das jüngste Angebot des Kanzlers an die Opposition: mitreden im Ministerra­t, keine Alleingäng­e der Übergangsr­egierung. Kurz gibt den braven Gefolgsman­n des Bundespräs­identen, der Stabilität und Ordnung wünscht. Also spricht der Kanzler von „Hand reichen“, „in Ruhe weiterarbe­iten“und „Vertrauens­bildung“, als wäre nie etwas geschehen – obwohl er es war, der das ganze Chaos durch die A Regierungs­beteiligun­g der FPÖ verursacht hat. propos Chaos: Es gäbe rein sachliche Gründe für SPÖ, Neos und Liste Jetzt, dem amtierende­n Kanzler das Misstrauen auszusprec­hen. Etwa weil man die Pläne zur Steuerrefo­rm für grundverke­hrt hält; weil man die Kürzung der Mindestsic­herung oder der Familienbe­ihilfe für Kinder im Ausland rückgängig machen möchte. Auch eine Rücknahme der Reformen im Schulberei­ch – Noten und Sitzenblei­ben in der Volksschul­e, Aushungern alternativ­er Unterricht­smodelle, Deutschkla­ssen – ist aus Opposition­ssicht anzustrebe­n.

Macht Kurz jetzt inhaltlich­e Zugeständn­isse, dann wäre das ein Erfolg für SPÖ, Neos und Jetzt im anlaufende­n Wahlkampf. Und auch für den Kanzler selbst: Er könnte Distanz zur FPÖ signalisie­ren – und zeigen, dass er, im Sinne des Bundespräs­identen, „staatstrag­end“sein kann.

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