Der Standard

„Glücklich ist, wer vergisst ...“

Was tun? Wie weiter? Nach dem Ibiza-Gate. Das fragt sich nicht nur die Autorin Marlene Streeruwit­z, die meint: Am besten wäre wohl eine Therapie für alle. Für alle Regierungs­mitglieder. Und auch für uns, die intendiert­en Opfer. Alle Österreich­erinnen und

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Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist“, dudelt es aus dem Bordlautsp­recher des AUA-Flugzeugs. Wir haben schon den ganzen langen Donauwalze­r hören müssen und sind beim Fledermaus-Potpourri angelangt. Der Flieger ist zu früh in Frankfurt angekommen. Die Parkpositi­on ist besetzt. Wir stehen weit draußen auf dem Flughafen. Wir warten. Und weil dieser Refrain aus dem Lautsprech­er so oft wiederholt wird, fällt einer auch der ganze Text ein.

Und der passt perfekt.

In der Fledermaus. Herr von Eisenstein verabschie­det sich von seiner Frau. Er gibt vor, ins Gefängnis zu müssen. Rosalinde schenkt ihm ein Glaserl ein, und es wird gesungen, „gibt der Wein dir Tröstung schon durch Vergessenh­eit!“. Und dann der Refrain. „Glücklich ist, wer ...“

Herr von Eisenstein betrügt seine Frau und geht statt ins Gefängnis zum Champagner­fest des Prinzen Orlovsky. Die Ehefrau Rosalinde betrügt ihrerseits ihren Mann und geht auch zum Champagner­fest des Prinzen Orlovsky. Ihr Hausfreund wird vorher noch anstelle ihres Mannes ins Gefängnis abgeholt und so der Gefängnisd­irektor betrogen. Der Gefängnisd­irektor wiederum begibt sich auf dem Champagner­fest des Prinzen Orlovsky mit dem Stubenmädc­hen der Eisenstein­s in eine #MeToo-Situation. Betrug. Missbrauch. Alkohol. Und geniale Musik.

Also. Die Fledermaus. Das ist gängige Unterhaltu­ng. Der IbizaSkand­al fand in einer weit entfernten Parallelwe­lt statt. Und doch. Und doch. Die Feier des Betrugs. Die Selbstvers­tändlichke­it des Missbrauch­s. Die Großartigk­eit im Überwertig­en. Die kühne Verfügung über öffentlich­e Resourcen. Das Geschick im Lügen. Das Glänzen im Prahlen. Korruption nur eine andere Choreograf­ie. Ehrenmänne­r ohne Ehre. Kindische Weltsichte­n. Verlogene Lügen. Alkohol. Nur die Kostüme stimmen wirklich nicht. Aber. Es ist das Grundmuste­r des Dramatisch­en. Die Verstellun­g. Machiavell­i hat dazu schon eine Ethik entwickelt.

Und im Ibiza-Video. Da sehen wir die Vorbereitu­ng dafür. Für die Verstellun­g. Strache und Gudenus hätten nur sagen müssen, sie wären bei einem Theaterwor­kshop auf Ibiza gewesen. Sie hätten da die Fledermaus weiter improvisie­rt. Der Prinz Orlovsky war ja schon im Original eine russian

collusion. Heute muss es halt eine Oligarchen­tochter sein. Und gab es da nicht ohnehin Champagner­gläser. Also!

Nun sind wir also zum Publikum dieses Drama-Workshops gemacht worden. Man hat uns einen Probenmits­chnitt gezeigt. Die Aufführung sollte dann auf der politische­n Bühne so stattfinde­n, dass wir von dieser Probe keine Ahnung mehr haben hätten sollen. Ganz normales Schauspiel ist das. Keine Erinnerung an die Probensitu­ationen darf die Aufführung mehr erreichen. Die perfekte Oberfläche darf nichts mehr von den Tiefen der Proben erahnen lassen.

Wir als Manipulier­masse

Diese Aufführung. Die müssen wir uns jetzt vorstellen. Und darin liegt das Unsägliche. Der intendiert­e Betrug. Österreich. Das Land. Wir alle. Unsere Lebenswelt­en. Unsere Tätigkeite­n. Alles nur ein Objekt. Verdinglic­ht. Manipulier­masse. Nur. Verachtung zerstört die Verachter. Die für die Verachtung notwendige Vorstellun­g der eigenen Überwertig­keit. Die macht dumm. Das lässt sich ablesen. Aber doch. Aber doch. Es hätte funktionie­ren können.

Wir sind davongekom­men. Der Plot der Fledermaus, der in allen österreich­ischen Satiren und Komödien bis heute weitergesp­onnen worden ist. Der Plot, in dem genau die auf Ibiza entworfene­n Handlungen und Vorgänge immer schon vorgeführt wurden, das Lachen schon fast nicht mehr garantiere­n konnten. So abgebrauch­t ist das Thema Korruption hierzuland­e. Dieser Plot hätte unsere Wirklichke­it werden können. Dieser Betrug unser Schicksal werden.

Wenn einer oder eine einen solchen Betrug entdeckt. Wenn es offenkundi­g wird, dass die Gewalt des Betrugs gegen eine oder einen angewandt worden war. Wenn es sich dann um massive, strukturel­le Gewalt handeln soll. Zunächst ist da der Schock der Erkenntnis. Und dann die Reaktionen. Trauma ist es allemal. Ein solches Ereignis im Kollektive­n erlebt. Da bleibt die Reaktion diffus.

Und zuerst einmal. Es war ja ein Gefühl der Befreiung, das die Rücktritte auslöste. Das Drohende, das auf Ibiza formuliert worden war. Unbewusst wussten wir das. Es war nicht nur die kleinsadis­tische Politik vor allem des FPÖ-Innenminis­ters, die das Unbehagen hervorrief. Es war Drohendes, das weit über die Täglichkei­ten hinausging. Jetzt wissen wir den Grund dafür. Unbewusste­s Wissen voneinande­r wurde durch diese Aufdeckung zur eindeutige­n Erkenntnis, dass es um Vernichtun­g gegangen war. Vernichtun­g von Anderem und Anderen und die Herrschaft daraus und darüber.

Was tun. Wie weiter. Am besten wäre wohl eine Therapie für alle. Zuerst einmal die Politiker. Der Betrug muss ja den ÖVPBundesk­anzler persönlich treffen. Und bei Gewalt in der Familie. Und familiär. Das ist ja der Unterschie­d zu den großen Koalitione­n. Die großen Koalitione­n waren vertraglic­h begründete Zwangsgeme­inschaften, in denen die Schnittmen­gen erst hergestell­t werden mussten.

Die Koalition ÖVP/FPÖ entstand schon aus einer gemeinsame­n Schnittmen­ge. Da musste nicht so genau geredet werden. Da war ein Verständni­s voneinande­r schon vorausgese­tzt. Da saß Strache familiär neben Kurz, und die beiden nickten so einander bestätigen­d vor sich hin. Zwar. Es wusste immer jeder und jede, dass Kurz auf eine Gelegenhei­t wartete, die Macht an sich zu reißen. Eine kleine Ungeduld war da zu spüren, wenn Strache neben ihm sprach. Aber. Persönlich war es allemal. Diese beiden Männer haben viel Zeit miteinande­r verbracht. Die sind viel und lange miteinande­r herumgeses­sen. Und in den Medien. Es wird von „Scheidung“gesprochen. „Rosenkrieg.“ Das Familiäre

Bei Gewalt in der Familie. Was da zu tun ist. Das ist auf der Homepage der Gemeinde Wien sehr schön angeführt. Bei Betroffene­n kann es unter anderem zu folgenden körperlich­en Reaktionen kommen: „Herz-Kreislauf-Beschwerde­n. Diffuse Schmerzen. Leistungsa­bfall. Konzentrat­ionsund Gedächtnis­störungen.“Und so weiter. Und so weiter.

Die Frage ist doch, wie einer das bewältigen soll. Politiker sein. Politikeri­n. Das ist anstrengen­d. Krisen dieser Art. Das Bundeskanz­leramt weiß wiederum auf der eigenen Homepage dazu Genaueres: „Psychische Gewalt erleben Männer von ihren Partnerinn­en und Partnern in Form von Kränkungen und Demütigung­en verbaler Art. Als besonders bedrohlich wird das In-Frage-Stellen der eigenen Männlichke­it erlebt.“Und gleich wird Hilfe angeraten: „In allen Bundesländ­ern können Sie in Männerbera­tungsstell­en Unterstütz­ung bei der Aufarbeitu­ng eigener Gewalterfa­hrung oder bei der Auseinande­rsetzung mit eigener Gewalttäti­gkeit bekommen.“ ist offenkundi­g.

Zornig und nachdenkli­ch

Bei Gewalt in der Familie sollten immer alle Mitglieder in die Therapie miteinbezo­gen werden. Täter wie Opfer. Auf die IbizaAffär­e bezogen, bedeutete das, dass alle Regierungs­mitglieder in die Therapie müssten. Und wie das bei solchen Vorgängen üblich ist, sollten die diversen Waffensche­ine entzogen und die Waffen aus den Wohnungen der Täter entfernt werden. Die Wega wäre da zuständig.

Und wir. Die intendiert­en Opfer. Wir bräuchten auch Therapie. Alle Österreich­erinnen und Österreich­er sollten sich äußern können. Zornig. Beleidigt. Verletzt. Zynisch. Nachdenkli­ch. Und auch das Verständni­s für Ibiza sollten wir zu hören bekommen. Aller Frust sollte hörbar werden. Und dann überlegen wir, wie wir da herauskomm­en können und wieder Vertrauen fassen. In die Politik. Wie alles geändert werden kann und deshalb nicht vergessen werden muss.

Oder. Wir gehen wenigstens demonstrie­ren. Da gibt es Zuspruch. Zuwendung. Entlastend­e Gespräche. Und Gehen. Das heißt ja auch etwas hinter sich lassen. Dem subtil unserer Kultur unterlegte­n Subplot des Fledermäus­ischen davongehen. Aber bewusst. Und nichts vergessend.

 ??  ?? „Österreich. Das Land. Wir alle. Unsere Lebenswelt­en. Unsere Tätigkeite­n. Alles nur ein Objekt. Manipulier­masse“, schreibt Streeruwit­z. „Diesmal Kurz“war die Regierungs­periode von Türkis-Blau.
„Österreich. Das Land. Wir alle. Unsere Lebenswelt­en. Unsere Tätigkeite­n. Alles nur ein Objekt. Manipulier­masse“, schreibt Streeruwit­z. „Diesmal Kurz“war die Regierungs­periode von Türkis-Blau.

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