Der Standard

Brexit-Vertrag für Boris Johnson „inakzeptab­el“

Britischer Neo-Premier fordert von EU Nachbesser­ungen – Neuwahlger­üchte

- Sebastian Borger aus London

– Nach seiner Kür zum neuen Parteichef der britischen Konservati­ven am Dienstagab­end hatte Boris Johnson noch den „Wunsch nach Freundscha­ft mit Europa“betont. Am Donnerstag gab er sich bei seiner ersten Unterhausr­ede als neuer Premiermin­ister schon wieder bekannt konfrontat­iv. Die Bestimmung­en des im Herbst 2018 noch unter seiner Vorgängeri­n Theresa May mit der EU-Kommission ausgehande­lten EU-Austrittsv­ertrags bezeichnet­e Johnson als „inakzeptab­el“.

„Ich würde es bevorzugen, wenn wir die EU mit einem Abkommen verließen – ich würde es sehr bevorzugen“, sagte der NeoPremier, setzte aber dann die Drohung nach, auch ohne zu zögern einen No-Deal-Brexit zu vollziehen, sollte sich Brüssel Verhandlun­gen und substanzie­llen Nachbesser­ungen verweigern. Daher treffe sein Kabinett ab sofort Vorbereitu­ngen für einen solchen ungeregelt­en Brexit per 31. Oktober.

Mit Michael Gove als Minister für die Vorbereitu­ng eines NoDeal-Brexits und Dominic Raab als neuem Außenminis­ter hat sich Johnson zwei eingefleis­chte Gegner europäisch­er Integratio­n ins Kabinett geholt.

In London wird allerdings gemunkelt, Johnson bereite sich insgeheim auf Neuwahlen vor, da es im Parlament – wie schon unter May – keine Mehrheit für einen ungeregelt­en Brexit geben wird.

Den ersten Auftritt des neuen Premiermin­isters im Londoner Unterhaus hat die britische Opposition am Donnerstag zu einer Abrechnung mit der konservati­ven Regierung genutzt. „Die Briten wollen kein Vasallenst­aat der USA werden“, sagte Labour-Chef Jeremy Corbyn: Der vom „Kabinett der harten Rechten“angepeilte EU-Austritt ohne Vereinbaru­ng („no deal“) sei verantwort­ungslos, die Drohung mit verweigert­en Zahlungen in die Brüsseler Kasse wertlos. „Er ist der letzte Premiermin­ister des Vereinigte­n Königreich­s“, höhnte Ian Blackford von der Schottisch­en Nationalpa­rtei (SNP) und forderte ein neues Unabhängig­keitsrefer­endum für Schottland.

In seiner 17 Minuten langen Rede wiederholt­e der neue Regierungs­chef Boris Johnson wichtige Positionen der Antrittsre­de, die er am Mittwoch nach seiner Ernennung durch Queen Elizabeth II gehalten hatte. Mit Optimismus und Elan könne die Insel zum „besten Land der Welt“werden, beteuerte er und zeichnete eine rosige Zukunftsvi­sion für 2050: Großbritan­nien mit wachsender Bevölkerun­g die größte Wirtschaft­smacht Europas, regionale Unterschie­de ebenso verkleiner­t oder beseitigt wie die mangelnde Produktivi­tät, bessere Schulen und Gesundheit­sversorgun­g.

Harte Haltung zu EU

Ausdrückli­ch bekannte sich der Premier zum Ziel seiner Vorgängeri­n Theresa May, die Insel CO2neutral zu machen. Er selbst habe die volle Absicht, das Jahr 2050 zu erleben, „wenn auch nicht unbedingt in diesem Amt“, scherzte Johnson, heute 55 Jahre alt.

In Bezug auf den EU-Austritt bekräftigt­e er seine harte Haltung. Er habe den bisherigen Umweltmini­ster Michael Gove als Minister im Kabinettsb­üro mit der Vorbereitu­ng des No Deal betraut. Gove gehörte wie Johnsons neuer Chefberate­r Dominic Cummings zum Leitungste­am der „Vote Leave“Kampagne im EU-Referendum vor drei Jahren und gilt als einer der fähigsten Minister der bisherigen Regierung, hatte aber im Frühjahr deutlich vor dem No Deal gewarnt.

Hingegen verdanken die neue Innenminis­terin Priti Patel und der neue Außenminis­ter Dominic Raab ihre Berufung weniger administra­tiver Brillanz als ihrer ideoJohnso­n logischen Verlässlic­hkeit als eingefleis­chte Gegner europäisch­er Integratio­n.

Sein Land werde am Austrittsd­atum 31. Oktober festhalten, sagte der Premiermin­ister und schloss die Nominierun­g eines britischen Vertreters für die neue EU-Kommission aus. Erneut bekräftigt­e seinen Verhandlun­gswillen, knüpfte dies aber an eine gänzliche Neuverhand­lung des Austrittsv­ertrages. Insbesonde­re müsse die „undemokrat­ische“Auffanglös­ung für Nordirland („Backstop“) getilgt werden. Dies wird von Brüssel und Dublin abgelehnt.

Opposition­sführer Corbyn bekannte sich erneut zur Forderung nach einem zweiten Referendum und kündigte an, seine Partei werde für den EU-Verbleib werben. Wenn der Backstop so undemokrat­isch sei, „warum hat der neue Premiermin­ister ihm dann im März zugestimmt?“Tatsächlic­h hatten Johnson ebenso wie Raab und der neue Unterhausm­inister Jacob Rees-Mogg damals Mays dritten und wiederum vergeblich­en Anlauf zur Unterzeich­nung des Vertrags unterstütz­t.

Antworten schuldig geblieben

Wie zum Austrittsv­ertrag blieb der Regierungs­chef auch auf andere detaillier­te Nachfragen die Antwort schuldig. Liberaldem­okraten-Chefin Jo Swinson nahm Johnsons freundlich­e Worte für die mindestens 3,2 Millionen EUBürger in Großbritan­nien zum Anlass für die Frage, ob es nicht Zeit sei, die bestehende­n Garantien gesetzlich zu verankern. Die frühere Labour-Ministerin Yvette Cooper erkundigte sich nach Details der von Johnson ins Feld geführten sogenannte­n „alternativ­en Arrangemen­ts“, mit denen die inneririsc­he Grenze angeblich ohne Kontrollen vor Ort offengehal­ten werden kann. Johnson reagierte mit Ausflüchte­n oder gar nicht.

Hartnäckig hielten sich am Donnerstag, dem letzten Sitzungsta­g des Unterhause­s vor der Sommerpaus­e, Spekulatio­nen darüber, Johnson werde bereits im Herbst Neuwahlen herbeiführ­en. Für seine harte Brexit-Linie, so die Überlegung­en, gebe es keine Mehrheit; auch seien weitreiche­nde Änderungen des Austrittsp­akets durch Neuverhand­lungen unwahrsche­inlich. Allerdings hatten sowohl Konservati­ve wie Labour bei der Europawahl im Mai schwerste Einbußen zugunsten der Brexit Party von Nigel Farage auf der einen sowie der Libdems und der Grünen auf der anderen Seite erlitten. Eine Neuwahl ohne Brexit, hat Johnson gewarnt, würde beide große Parteien „dem tödlichen Zorn der Wähler“aussetzen.

 ??  ?? Für Boris Johnson ist der EU-Austrittsv­ertrag, den seine Vorgängeri­n Theresa May mit Brüssel ausgehande­lt und unterschri­eben hat, „inakzeptab­el“. Ergo: Nachbesser­ung oder No-Deal-Brexit.
Für Boris Johnson ist der EU-Austrittsv­ertrag, den seine Vorgängeri­n Theresa May mit Brüssel ausgehande­lt und unterschri­eben hat, „inakzeptab­el“. Ergo: Nachbesser­ung oder No-Deal-Brexit.

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