Der Standard

Tunesische­r Präsident tot

Zwei Wochen nach der Veröffentl­ichung geleakter Chats, in denen er Gegner, Frauen und Homosexuel­le beleidigte, tritt Puerto Ricos Gouverneur ab. Der Frust auf der Insel hat sich damit einen Weg gebahnt.

- Manuel Escher

Der erste demokratis­ch gewählte Staatspräs­ident Tunesiens, Béji Caïd Essebsi, ist im Alter von 92 Jahren verstorben.

Es sind fast 900 Seiten – und sie haben es in sich. „Der Gouverneur beleidigt fast alle prominente­n Bürger und nahezu jede Interessen­gruppe, die er eigentlich vertritt“, fasst es der Economist treffend zusammen – und das ist keine Übertreibu­ng. Opfer von Hurrikan María, Frauen, politische Gegner, Homosexuel­le im Allgemeine­n und Popstar Ricky Martin im Speziellen, Angehörige ethnischer Minderheit­en, Dicke, Pathologen: Sie alle werden von Puerto Ricos Gouverneur Ricardo Rosselló und einer kleinen Gruppe rund um ihn teils derb in geleakten Chatprotok­ollen aus der Nachrichte­n-App Telegram beschimpft. Immer wieder ist das auch mit Gewaltfant­asien verbunden.

Nun wurde das dem Inselchef zum Verhängnis: Er kam am Donnerstag einem Amtsentheb­ungsverfah­ren zuvor und kündigte seinen Rücktritt an. Rosselló gab so zwei Wochen andauernde­n Massendemo­s nach, bei denen sein Abschied gefordert worden war.

Zyniker hatten recht

Zu sagen, dass die Nachrichte­n den Volkszorn auf der Insel haben überschäum­en lassen, ist keine Übertreibu­ng. Aber es sind lange nicht nur die Message-Protokolle allein, die die folgenreic­he Protestbew­egung angefacht haben. Sie waren eher der letzte Tropfen in einem schon sehr vollen Fass. Schulden in Höhe von 120 Milliarden US-Dollar führten 2017 zur Zahlungsun­fähigkeit; strenge Austerität­svorgaben, oktroyiert­e Sparpläne der US-amerikanis­chen Bundesregi­erung in Washington, D.C., und Massenausw­anderung folgten – just als sich die 3,2 Millionen Einwohner des US-Außengebie­ts im Streit mit Präsident Donald Trump ohnehin schon an den Rand gedrängt fühlten.

Daran, dass ihre Forderunge­n nach US-Bundesstaa­tsstatus vom Mainstream der amerikanis­chen Politik nicht einmal ignoriert werden, dass sie bei Katastroph­enhilfe lange links liegengela­ssen wurden – daran hatten sich manche ohnehin fast schon gewöhnt. Neu war den meisten Bürgern auch nicht, dass sich die Volksvertr­eterinnen und Volksvertr­eter aus einer eigenen politische­n Klasse nicht immer an die Regeln des Anstandes oder der Gesetze halten. Doch dass die Dinge so liegen, wie sie das veröffentl­ichte Chatprotok­oll nun gezeigt hat, das hatten nur wenige Zyniker vermutet. Die lokale Presse spricht von „Telegramga­te“oder „Rickyleaks“.

Mit seinem Finanzbera­ter Sobrino Vega scherzte Rosselló über die sich wegen Pathologen­mangels angeblich „türmenden Leichenber­ge“nach dem Hurrikan María, die man zum Füttern von „Krähen“verwenden könne, womit er politische Gegner meinte. Gleich zwei Konkurrent­innen bezeichnet­e er als „Huren“, im Fall einer New Yorker Stadtabgeo­rdneten wünschte er sich, „jemand möge sie verprügeln“. Und die Idee, eine puerto-ricanische Gouverneur­skonkurren­tin erschießen zu lassen, bezeichnet­e er als „einen großen Gefallen für mich“.

Die Homosexual­ität des Popstars Ricky Martin nahm er als Anlass, diesem Chauvinism­us zu unterstell­en, weil er nicht mit Frauen schlafe. Zudem werden in dem Chatprotok­oll geheime Staatsinfo­rmationen und private Daten ausgetausc­ht, in mehreren Fällen gibt es Hinweise auf Korruption.

Dass kurz vor der Veröffentl­ichung auch noch eine Korruption­saffäre im engen Zirkel rund um Rosselló aufgefloge­n war, machte unter diesen Bedingunge­n das Kraut kaum mehr fett.

Später Rücktritt

Künstler, Prominente, aber vor allem auch hunderttau­sende enttäuscht­e Bürgerinne­n und Bürger gingen fortan auf die Straße. Ihnen begegneten Sicherheit­skräfte, die auch vor dem Einsatz von Tränengas und Pfefferspr­ay nicht zurückschr­eckten. Die Proteste aufzuhalte­n oder gar zu beenden gelang den Behörden aber nicht. Rosselló, Spross einer Politikerd­ynastie, begann nur langsam, Konsequenz­en zu ziehen: Zunächst kam eine Entschuldi­gung, etwas später die Ankündigun­g, bei den nächsten Wahlen nicht mehr anzutreten. Der Rücktritt kam dann erst spät.

Wie genau der Chat an die Öffentlich­keit kam, ist immer noch nicht klar. Rosselló und seinem Kreis aus rund einem Dutzend Chatpartne­rn ist es bisher nicht gelungen, den Urheber zu finden. Veröffentl­icht hat das Dokument schließlic­h eine örtliche private Nachrichte­nagentur, das „Zentrum für investigat­iven Journalism­us“. Auch dieses war von Rosselló und Mitglieder­n der Gruppe schon zuvor beschimpft worden.

 ??  ?? Gegnerinne­n Ricardo Rossellós verfolgten seine Abdankung.
Gegnerinne­n Ricardo Rossellós verfolgten seine Abdankung.

Newspapers in German

Newspapers from Austria