Der Standard

Béji Caïd Essebsi 1926–2019

Der amtierende tunesische Staatspräs­ident verstarb im hohen Alter von 92 Jahren

- Manuela Honsig-Erlenburg

Er war der erste demokratis­ch gewählte Staatspräs­ident Tunesiens: Béji Caïd Essebsi verstarb gestern, Donnerstag, nach einer Serie schwerer gesundheit­licher Probleme im Alter von 92 Jahren, nur wenige Monate vor dem offizielle­n Ende seiner Amtszeit. Essebsi war nach der britischen Queen Elizabeth II das älteste amtierende Staatsober­haupt der Welt.

Nach dem Sturz des Langzeitdi­ktators Zine el-Abidine Ben Ali 2011 wurde er zunächst zum vorläufige­n Ministerpr­äsidenten des Landes an der Spitze eines Technokrat­enkabinett­s ernannt. Seine 2012 neu gegründete, säkulare, bürgerlich-konservati­ve Partei Nidaa Tounès konnte in den darauffolg­enden Wahlen 2014 einen beachtlich­en Erfolg einfahren, Essebsi selbst wurde daraufhin auch zum Präsidente­n gewählt.

Der Politikvet­eran versuchte in seiner Amtszeit, das krisengesc­hüttelte muslimisch­e Land politisch zu stabilisie­ren und die tiefen politische­n Gräben zwischen Liberalen, Konservati­ven, Islamisten und Gewerkscha­ften zu minimieren. Auch engagierte sich „Bajbouj“, wie ihn seine Anhänger nannten, in gesellscha­ftlichen Fragen wie der Gleichbere­chtigung von Mann und Frau vor dem Gesetz

und mischte sich immer wieder in das tagespolit­ische Geschehen ein. Vieldiskut­iert war beispielsw­eise die Reform des diskrimini­erenden Erbschafts­gesetzes, die Essebsi vorantrieb.

Kandidatur ausgeschlo­ssen

Eine erneute Kandidatur bei der Präsidents­chaftswahl im November schloss der für seinen Galgenhumo­r bekannte Essebsi übrigens bereits im April aus. „In aller Ehrlichkei­t denke ich nicht, dass ich mich noch einmal zur Wahl stelle“, erklärte er während eines Parteikong­resses. Jüngeren müsse „die Tür geöffnet werden“.

Béji Caïd Essebsi wurde am 29. November 1926 in Sidi Bou Saïd bei Karthago in eine angesehene Familie hineingebo­ren. Zeit seines Lebens engagierte er sich politisch. In den 1940er-Jahren schon setzte sich der Jusstudent für die Unabhängig­keit Tunesiens von Frankreich ein. Während seiner frühen Anwaltsjah­re vertrat Essebsi politische Angeklagte, später wurde er für den Kassations­gerichtsho­f zugelassen.

Seine aktive politische Karriere begann er mit der Unabhängig­keit im März 1956 im Beratersta­b des ersten Premiermin­isters Habib Bourguiba. Während Bourguibas drei Jahrzehnte dauernder Herrschaft, in der politisch Andersdenk­e teilweise brutal verfolgt wurden, bekleidete Essebsi auch die Posten des Chefs des Sicherheit­sdienstes, des Innen-, Verteidigu­ngsund Außenminis­ters.

In einem Abschlussb­ericht der „Wahrheitsk­ommission“, die sich mit der Aufarbeitu­ng der Menschenre­chtsverstö­ße zwischen 1955 und 2013 in Tunesien befasste, wurden schwere Vorwürfe auch gegen Essebsi erhoben. In der Zeit von Machthaber Zine elAbidine Ben Ali hatte sich Essebsi allerdings nach einem Zerwürfnis mit Bourguibas Nachfolger aus der Politik zurückgezo­gen und war wieder als Anwalt tätig.

Gestern, Donnerstag, wurde Parlaments­präsident Mohamed Ennaceur vorläufig als Interimspr­äsident vereidigt. Laut Verfassung müsste Tunesien eigentlich für den Rest der Amtsperiod­e einen neuen Präsidente­n wählen lassen. Was ein juristisch­es Problem darstellt: Denn eigentlich müsste das Verfassung­sgericht offiziell den Bedarf einer Wahl vor den nächsten regulären Wahlen bestätigen. Dieses wurde aber nach wie vor nicht gegründet. Am 6. Oktober finden jedenfalls in Tunesien planmäßig Parlaments­wahlen statt, die regulären Präsidente­nwahlen sind für November angesetzt.

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Präsident Essebsi im Herbst des vergangene­n Jahres.

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