Der Standard

Ab 2021 mehr Sprachauto­nomie für das Elsass

Regionalin­itiative von Zentralist­en kritisiert

- Stefan Brändle aus Paris Langfassun­g: derStandar­d.at

In Frankreich führen alle Straßen nach Paris; und im Denken der politische­n Elite dort gibt es kaum Platz für Regionalpo­litisches – schon gar nicht für die 1,9 Millionen Elsässer mit ihrem alemannisc­hen Dialekt, die gegen die Zugehörigk­eit zur neu geschaffen­en Region „Grand Est“protestier­ten. Es zahlte sich aus: Präsident Emmanuel Macron ließ sich auf Verhandlun­gen ein, und nun wurde ein Kompromiss abgesegnet: Das Parlament hat der Neubildung eines elsässisch­en Einheitsgr­emiums zugestimmt. Es entsteht am 1. Jänner 2021 und erhält den – an sich unnötigen – Zusatz „europäisch“: „Collectivi­té européenne d’Alsace“.

Das Ringen war sehr grundsätzl­ich und hitzig, wie einige Episoden der Parlaments­debatte zeigten. Einmal wandten sich Abgeordnet­e des Départemen­ts BasRhin auf Elsässisch an regionale Kollegen; ein anderes Mal stimmte einer gar das Volkslied D’r Hans im Schnokeloc­h an.

Manche Abgeordnet­e hielt es nicht mehr auf ihrem Platz: „Sie zerstören die Republik!“, rief einer – und ein anderer warnte, dass nach den Elsässern bald auch die Nordfranzo­sen ein eigenes Autonomieb­egehren stellen würden. Das neue Elsass-Statut wurde dennoch klar angenommen.

Inhaltlich stellt es keine Revolution dar. Denn neben der „Europäisch­en Körperscha­ft Elsass“existieren die beiden Départemen­ts Hoch- und Niederrhei­n weiterhin. Die Pariser Zentralgew­alt wahrt damit mehr als nur die administra­tive Form. Zugleich schafft das neue Elsass-Gremium aber beträchtli­che Lokalkompe­tenzen, etwa beim Verkehr. Außerdem gibt es in Zukunft „einen fakultativ­en Sprach- und Regionalku­ltur-Unterricht“. Er gilt für die „ganze Schulzeit“, nicht nur für die Volksschul­e.

Wirtschaft­lich wichtig ist die neue Kompetenz des „Europagebi­etes Elsass“, mit den Nachbarn Basel (Schweiz) und Baden-Württember­g (Deutschlan­d) grenzübers­chreitende Kooperatio­nen einzugehen. An die Stelle des womöglich schon bald stillgeleg­ten Atomkraftw­erkes Fessenheim am Rheinufer will die Region etwa eine Forschungs- und Entwicklun­gszone errichten.

Thema Schulunter­richt

Das Elsass schafft zudem ein „Strategiek­omitee für den Unterricht der deutschen Sprache im Elsass“– mit dem Fernziel, dass die jungen Elsässer zweisprach­ig aufwachsen. Dieser zusätzlich­e Deutschunt­erricht sorgt weit über das Elsass hinaus für Diskussion­en, was angesichts der deutschen Vergangenh­eit der Region nicht ganz verwundern kann. Am vehementes­ten und mit ihrer üblichen Übertreibu­ng reagierte die Rechtsextr­emistin Marine Le Pen: Sie schimpft lauthals über die „deutsche Vormundsch­aft“.

Der Vorwurf ist lächerlich. Sogar die Aussage der Chefin des Départemen­ts Hochrhein, Brigitte Klinkerts, die neue Region bedeute die „Wiedergebu­rt eines politische­n Elsass“, wird von Föderalist­en infrage gestellt. Die gemäßigte Elsässer-Partei „Unser Land“meint, das neue Statut sei nur „viel Lärm um nichts“. Was sicherlich auch unzutreffe­nd ist, wenn man die sprachpoli­tischen Konzession­en des französisc­hen Zentralsta­ates in Rechnung stellt.

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