Der Standard

Wenn Journalist­en die Seiten wechseln

Nun ist es offiziell: Der bisherige „Kurier“-Herausgebe­r Helmut Brandstätt­er tritt für die Neos an. Auch die Grünen setzten auf eine journalist­ische Quereinste­igerin. Im Schnitt erfolgreic­her sind aber klassische Berufspoli­tiker. Ausnahmen bestätigen die

- Günther Oswald

A ls Journalist stehen einem viele Wege offen. Manche landen beim

STANDARD und schreiben über Boris Johnson. Andere sind Boris Johnson und werden britischer Premiermin­ister. Der 55-Jährige, der in den 90er-Jahren noch für den Daily Telegraph aus Brüssel über die EU-Politik berichtete und sich den Ruf erarbeitet­e, es mit der Wahrheit nicht immer ganz genau zu nehmen, ist seit dieser Woche offiziell dafür verantwort­lich, den Brexit endlich über die Bühne zu bringen.

Auch in Österreich haben es bereits einige Journalist­en in die Spitzenpol­itik geschafft. Helmut Zilk war zuerst im ORF und bei der Kronen Zeitung tätig, bevor er Stadtrat, Minister und schließlic­h Wiener Bürgermeis­ter wurde. Bei diversen Wahlen der jüngeren Vergangenh­eit wurden ebenfalls immer wieder Journalist­en als Quereinste­iger präsentier­t – häufig haben sie Rundfunk-Vergangenh­eit. Die SPÖ ging 2014 mit Eugen Freund als Spitzenkan­didat in die EU-Wahl. Josef Broukal setzten die Roten 2002 auf ihre Nationalra­tswahllist­e. Ursula Stenzel kandidiert­e zuerst für die ÖVP (EU, Wiener Gemeindera­t) und wechselte schließlic­h 2015 zur FPÖ.

Pinke und Grüne werben ab

Bei den Blauen war sie nicht die erste ExJournali­stin. Theresia Zierler war 14 Jahre für den ORF tätig, bevor sie 1999 für die FPÖ in den Nationalra­t einzog und danach sogar Generalsek­retärin der Partei wurde. Der langjährig­e EU-Mandatar der Freiheitli­chen, Hans Kronberger, kam ebenfalls vom staatliche­n Rundfunk.

Im aktuellen Wahlkampf haben die Neos den bisherigen Kurier-Herausgebe­r Helmut Brandstätt­er, der ebenfalls lange für den ORF gearbeitet hat, an Bord geholt. Er wurde am Donnerstag offiziell präsentier­t, will zwar nicht Parteimitg­lied werden, bekommt aber Platz zwei auf der Bundeslist­e hinter Parteichef­in Beate Meinl-Reisinger und soll sich künftig vor allem um die Themen Wissenscha­ft und Forschung kümmern.

Auch die Grünen, die zurück in den Nationalra­t wollen, setzen heuer auf journalist­ischen Background und wählten die bisherige Presse- und Falter-Kolumnisti­n

Sibylle Hamann auf Platz drei ihrer Bundeslist­e.

Ob solche Personalen­tscheidung­en den Parteien etwas bringen, ist nicht ganz einfach zu beantworte­n. Klar ist: Sie weisen meist einen gewissen Bekannthei­tsgrad auf und führen zu stärkerer Medienpräs­enz – wie auch dieser Artikel und diverse Berichte der vergangene­n Tage belegen.

Relevanter bei EU-Wahlen

Viele empirische Studien zur Wirkung von prominente­n Quereinste­igern gibt es allerdings nicht. ORF-Moderator Armin Wolf hat sich 2006 in seiner Dissertati­on Celebrity Politics mit dem Phänomen beschäftig­t und kam zu dem Schluss, dass Prominente vor allem bei Europa-Wahlen ein stärkeres Wahlmotiv waren. Die von ihm befragten Parteivera­ntwortlich­en zeigten sich sogar durch die Bank überzeugt, dass ihnen die Quereinste­iger zusätzlich­e Stimmen gebracht hätten.

Die weiteren Karriereve­rläufe der politische­n Neulinge unterschei­den sich jedenfalls von klassische­n Berufspoli­tikern. „Im Durchschni­tt sind prominente Seiteneins­teiger weniger lang in der Politik, kandidiere­n seltener wieder und übernehmen weniger Funktionen als traditione­ll rekrutiert­e Politiker“, analysiert­e Wolf. Konkret dauerte ihre Amtszeit mit durchschni­ttlich 4,6 Jahren nur halb so lang wie jene von Bundespoli­tikern im Allgemeine­n.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch eine deutsche Studie im Jahr 2017, für die fast 600 Biografien von Abgeordnet­en des Deutschen Bundestags untersucht wurden. Aufgrund ihrer geringeren Vernetzung und des mangelnden Rückhalts in den Parteien machen Quereinste­iger demnach weniger häufiger Karriere. Die wirklich wichtigen politische­n Funktionen gehen also meist doch wieder an klassische Berufspoli­tiker.

 ?? Foto: APA/Gindl ?? Helga Rabl-Stadler arbeite für die „Presse“, „Wochenpres­se“und den „Kurier“. In den 80erund 90er-Jahren war die spätere Präsidenti­n der Salzburger Festspiele VP-Abgeordnet­e.
Foto: APA/Gindl Helga Rabl-Stadler arbeite für die „Presse“, „Wochenpres­se“und den „Kurier“. In den 80erund 90er-Jahren war die spätere Präsidenti­n der Salzburger Festspiele VP-Abgeordnet­e.
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Foto: APA/Jaeger Helmut Brandstätt­er war Chefredakt­eur und Herausgebe­r des „Kurier“. Seine journalist­ische Karriere begann er im ORF, jetzt will er ein pinkes Nationalra­tsmandat.
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Foto: APA/Pfarrhofer Sibylle Hamann schrieb ebenfalls für den „Kurier“und war später für das „Profil“tätig. Zuletzt schrieb die nunmehrige Grünen-Kandidatin für „Presse“und „Falter“.
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Foto: Matthias Cremer Hans-Peter Martin schrieb unter anderem für den „Spiegel“, trat 1999 für bei der EU-Wahl für die SPÖ an, verließ 2004 aber die Partei und wurde fraktionsl­os.
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Foto: APA/Hochmuth Peter Sichrovsky schrieb für den STANDARD, das „Profil“und den „Spiegel“, bevor er 1996 für die FPÖ ins EUParlamen­t einzog. Später war er blauer Generalsek­retär.
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Foto: Matthias Cremer Josef Broukal war in jungen Jahren für die SPÖ tätig, dann lange im ORF, moderierte dort unter anderem die „ZiB 2“und wurde dann 2002 SPÖ-Abgeordnet­er.
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Foto: Matthias Cremer Helmut Zilk war ORF-Fernsehdir­ektor, dann „Krone“Ombudsmann und wechselte 1979 in die Wiener Stadtregie­rung. Von 1984 bis 1994 war Bürgermeis­ter.
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Foto: Regine Hendrich Alfred Worm machte sich als „Profil“-Aufdecker einen Namen. Zwischen 1983 und 1988 saß er für die ÖVP im Wiener Gemeindera­t, später schrieb er für „News“.
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Foto: Picturedes­k/ÖNB Franz Kreuzer schrieb für die „Arbeiter-Zeitung“, ging 1967 zum ORF und war unter den SPÖ-Kanzlern Sinowatz und Vranitzky Gesundheit­sminister.
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Foto: Heribert Corn Eugen Freund war lange Auslandsko­rresponden­t des ORF, moderierte „ZiBs“sowie das „Weltjourna­l“und trat 2014 als SPÖ-Spitzenkan­didat für die EU-Wahl an.
 ?? Foto: Matthias Cremer ?? Ursula Stenzel war „ZiB“Moderatori­n. 1996 trat sie für die ÖVP bei der EU-Wahl an, 2005 wechselte sie in den Wiener Gemeindera­t, 2015 wechselte sie zur FPÖ.
Foto: Matthias Cremer Ursula Stenzel war „ZiB“Moderatori­n. 1996 trat sie für die ÖVP bei der EU-Wahl an, 2005 wechselte sie in den Wiener Gemeindera­t, 2015 wechselte sie zur FPÖ.
 ?? Foto: Robert Newald ?? Theresia Zierler war bis 1999 ORF-Moderatori­n,kandidiert­e dann für die FPÖ und wechselte später zum BZÖ sowie zur Liste Fritz Dinkhauser.
Foto: Robert Newald Theresia Zierler war bis 1999 ORF-Moderatori­n,kandidiert­e dann für die FPÖ und wechselte später zum BZÖ sowie zur Liste Fritz Dinkhauser.

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