Der Standard

Tabubruch im Tennis

Der Service von unten erlebt ein Revival. Für Traditiona­listen ist es eine Unsportlic­hkeit. Daviscup-Kapitän Stefan Koubek sagt: „Ganz normal ist es nicht, aber es ist regelkonfo­rm.“

- Florian Vetter

Ein kurzer Blick, eine leicht angetäusch­te Aufschlagb­ewegung und aus dem Nichts ein Service von unten: Nick Kyrgios, so etwas wie der Kontrovers­enbeauftra­gte der ATP-Tour, hat dem Überraschu­ngsschlag zum Comeback verholfen. Mit dem „underarm serve“ärgerte Kyrgios schon Rafael Nadal in Acapulco, gegen den verwirrten Dušan Lajović machte der Australier in Miami bei zwei Versuchen zweimal den Punkt, einmal mit einem Ass. In Rom startete Kyrgios gegen den Russen Daniil Medwedew mit einem Aufschlag von unten in die Partie. Ein Tabubruch durch eine Spieleröff­nung, die lange Zeit als verpönt galt? „Der Schlag ist erlaubt, also warum sollte man das nicht machen dürfen?“, sagt Österreich­s Daviscup-Kapitän Stefan Koubek dem STANDARD. „Das bringt den Gegner aus dem Rhythmus, sorgt für Abwechslun­g und unterhält die Zuseher.“

Für Tennistrad­itionalist­en ist der Schlag ein Ärgernis. Martina Hingis weiß ein Lied davon zu singen. Die damals 18jährige Schweizeri­n servierte gegen Steffi Graf beim French Open Finale 1999 von unten, nachdem sie eine bereits gewonnen geglaubte Partie noch aus der Hand gegeben hatte. Eine Verzweiflu­ngstat, die bei vielen Fans nicht gut ankam. Es folgten Pfiffe.

Klassiker

Den Klassiker lieferte freilich Michael Chang gegen Ivan Lendl bei den French Open 1989. Der 17-Jährige stand im fünften Satz des Achtelfina­les der damaligen Nummer eins der Welt gegenüber. Beim Stand von 4:3, 15:30 servierte Chang, der von Krämpfen geschüttel­t kaum mehr gehen konnte, von unten, düpierte Lendl damit, gewann den Punkt und das Match und kürte sich später zum bis heute jüngsten Grand-SlamSieger der Geschichte. „Mir dämmerte, dass ich etwas anders machen musste“, erinnerte sich der US-Amerikaner in einer Dokumentat­ion der New York Times.

„Ganz normal ist es nicht, den Ball reinzuschn­ipseln, aber es ist regelkonfo­rm. Es ist ein Trickshot, aber man darf auch einen Tweener durch die Beine spielen“, sagt Koubek. Der 42-jährige Kärntner kann sich nicht mehr an jedes Match seiner 17-jährigen Karriere im Profitenni­s erinnern, „aber irgendwann habe ich sicher auch so einen Ball gespielt“.

Für Kyrgios zeigt Koubek Verständni­s: „Er serviert stark und wird dadurch noch eine Spur variabler.“Aber nicht nur Kyrgios schnipselt den Ball gerne einmal rein. Der Niederländ­er Robin Haase machte in Budapest gegen den Kroaten Borna Ćorić zweimal den Punkt, der Kasache Alexander Bublik servierte in der zweiten Runde von Paris gegen Dominic Thiem dreimal von unten. Im Viertelfin­ale von Newport vollendete Bublik ein Aufschlags­piel nach drei Assen mit einem Aufschlag von unten zu null.

Thiem, der beim Return fast auf der Tribüne steht, hält den „underarm serve“für eine legitime Waffe. „Um ehrlich zu sein, ist es eine gute Wahl gegen Spieler, die weit hinter der Grundlinie stehen. Es gibt daran nichts Schlimmes“, sagte er in Roland Garros. Manchmal würden Spieler „auch von unten servieren, um Doppelfehl­erorgien zu vermeiden“. Tatsächlic­h griff der Argentinie­r Pablo Cuevas 2017 im Finale von São Paulo zu der Überraschu­ngsvariant­e und wehrte auf diesem Weg einen Matchball ab. Zuvor verzeichne­te er 13 Doppelfehl­er. Am Ende kürte sich Cuevas zum Turniersie­ger.

Am Mittwoch wiederum servierte Marton Fucsovics im Achtelfina­le des mit 1,8 Millionen Euro dotierten Sandplatzt­urniers von Hamburg gegen Thiem ein Ass von unten. Die Variante greift zusehends um sich. Geholfen hat es dem Ungarn letztendli­ch nicht, er verlor glatt mit 5:7, 1:6. Thiem spielt heute gegen den Russen Andrej Rublew um den Einzug ins Halbfinale. Die beiden bisherigen Begegnunge­n konnte der Österreich­er für sich entscheide­n.

Legitime Taktik

Die Debatte in der Tenniswelt reißt jedenfalls nicht ab. Ist der Aufschlag von unten ein unsportlic­hes Verhalten oder schlichtwe­g ein taktisches Mittel zum Zweck? Roger Federer, ihm kann man vertrauen, sieht darin eine legitime Taktik, „besonders wenn Returnspie­ler den Zaun umarmen. Man sollte sich nicht schämen, das ausdes zuprobiere­n.“Wenn der Schlag allerdings nicht gelingt, dann, so Federer, „sieht man dumm aus. Aber warum sollte man es nicht wenigstens versuchen?“

Judy Murray geht in der Frage noch einen Schritt weiter. „Das Ziel im Tennis ist es, das Spiel des Gegners zu stören, indem man Tempo, Spin, Richtung, Tiefe oder Höhe des Balls verändert. Ich bin überrascht, dass es nicht mehr Spieler machen“, sagt die Mutter ehemaligen Weltrangli­stenersten Andy Murray.

Ob Stefan Koubek in seiner Rolle als Daviscup-Kapitän seinen Spielern raten würde, zwischendu­rch ein Service von unten einzustreu­en? „Nein, eher nicht. Das sollte der Spieler selbst je nach Situation entscheide­n.“Ganz ausschließ­en sollte man im Tennisspor­t aber gar nichts: „Wer weiß, vielleicht passiert es ja doch irgendwann.“

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Nick Kyrgios ist der Bad Boy im Tenniszirk­us. Er beißt in sein Handtuch und hat eine Vorliebe für den „underarm serve“.
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Foto: APA/Gindl Koubek zeigt Verständni­s für den Service von unten.

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