Der Standard

Ausweitung der Preiszone

Heute, Freitag, nimmt der französisc­he Autor Michel Houellebec­q (63) in Salzburg den Österreich­ischen Staatsprei­s für Europäisch­e Literatur entgegen. Die Auszeichnu­ng geht an einen der umstritten­sten Schriftste­ller Europas.

- Stefan Gmünder Morgen, Samstag, im ALBUM: Daniela Strigls Laudatio auf Michel Houellebec­q

Es soll, hört man, nicht leicht gewesen sein, für den dem Nikotin stark zusprechen­den Michel Houellebec­q in Salzburg ein Raucherzim­mer zu bekommen. Auch sonst weiß man nie, wie und ob das Enfant terrible auftauchen wird. Ein paar Stichworte zu Werk und Person.

Auszeichnu­ngen

Houellebec­q ist viele Male für seine Bücher ausgezeich­net worden – unter anderem mit dem Prix Goncourt. In Frankreich, wo es üblich ist, dass Literaturp­reise neben Geld mit einer gewissen Menge Wein dotiert sind, bekam der Autor 1992 für seinen Lyrikband Suche nach

Glück den Tristan-Tzara-Preis (5000 Francs und 50 Flaschen Sancerre). 1996 gewann er ebenfalls mit Gedichten – Der Sinn des

Kampfes – den Prix de Flore (40.000 Francs und 365 Gläser Pouilly Fumé). Houellebec­q rechnete die Alkoholmen­ge zusammen und folgerte: Der Prix de Flore ist besser! Der Österreich­ische Staatsprei­s für Europäisch­e Literatur ist mit 25.000 Euro dotiert. Wein wird nach der Veranstalt­ung gereicht.

Gentechnol­ogie

Sie spielt wie Sex und das Klonen im Werk des Ausgezeich­neten, besonders in den Romanen Elementart­eilchen

(1998) und Die Möglichkei­t einer

Insel (2005), eine zentrale Rolle. Der geklonte, geschlecht­slose Mensch jenseits von Egoismus und sexuellem Elend ist für den Autor allerdings nicht – wie oft unterstell­t – eine Utopie, sondern ein Höllenszen­ario. Das Leid, so der Autor, lässt sich nicht lindern, indem man alle Begierden stillt. Ganz im Gegenteil. Trotzdem schreibt Houellebec­q recht gern über Sex. In Frankreich soll es unter Lesern ein Gesellscha­ftsspiel gegeben haben, bei dem man ein Houellebec­q-Buch an einer beliebigen Stelle aufschlägt, mit dem Ziel, eine Sexstelle zu treffen. Funktionie­rt fast immer.

Liebe

„Und die Liebe, die alles so leicht macht, / Dir alles schenkt, und zwar sogleich, / Es gibt in der Mitte der Zeit / Die Möglichkei­t einer Insel“, schreibt Houellebec­q 2013 im Gedichtban­d Gestalt des

letzten Ufers. Auch oder gerade weil die Unmöglichk­eit der Liebe und des Angenommen­werdens in seinen Büchern so zentral ist, kann für diesen Autor „ohne Liebe nichts geheiligt werden“, wie er im Roman Plattform (2001) schreibt. Valérie, eine der großen Heldinnen, die es in seinem Werk trotz eines gewöhnungs­bedürftige­n Frauenbild­es eben doch auch gibt, verblutet am Ende von Plattform. In den Armen einer Figur namens Michel.

Mutter

Den wahlweise 1956 oder 1958 auf La Réunion geborenen Preisträge­r verbindet mit seiner Mutter seltsamerw­eise ein komplexes Verhältnis. Unter anderem macht Houellebec­q die Ärztin, sein Vater war Bergführer, dafür verantwort­lich, dass über sein Geburtsjah­r Unklarheit herrscht. Sie habe es nach vorn datiert, damit er, statt „mit sechs, schon mit vier Jahren zur Schule gehen konnte“. Der als Michel Thomas geborene Autor wuchs bei den Großmütter­n in Algerien und in Clamart nahe Paris auf. Dort nahm er den Mädchennam­en seiner Großmutter väterliche­rseits an: Houellebec­q.

Provokatio­n

Houellebec­q, der auf angepasste­s Verhalten keinen besonderen Wert legt, hat von Anfang an polarisier­t und provoziert. Seine zuweilen seltsamen politische­n Sager (Trump als bester Präsident je, Islam als die dümmste aller Religionen) haben ihm schlechte Presse und eine Menge Skandale eingebrach­t. Er betreibt auch gern die Vermischun­g von Werk und Autorenper­son, indem er die Sphären Literatur und öffentlich­e Rede vermischt. Das macht es unmöglich, seine öffentlich­en Äußerungen von der Lektüre seiner Bücher zu trennen. Letzteres gehört zur Strategie und führt dazu, dass man den Autor entweder mag oder total ablehnt.

Zerfall

Die Auflösung der Paarbezieh­ung, sämtlicher Verbindlic­hkeiten sowie des Humanismus und der Solidaritä­t unter dem Primat einer entfesselt­en Ökonomie, deren Verwertbar­keitsdenke­n bis in die Beziehunge­n diffundier­t, hat Houellebec­q von Anfang an interessie­rt. Er nennt diesen Vorgang Ausweitung der Kampfzone

(1994). Das Konkurrenz­denken und der Markt zermalmen das Individuum. Rosig sieht Houellebec­q die Zukunft nicht: „Wenn es eine Idee gibt, die all meine Romane durchzieht, dann ist es die Idee von der absoluten Unumkehrba­rkeit von Verfallspr­ozessen, wenn sie einmal begonnen haben.“Dass er sich das wünschen würde, hat er nie behauptet.

 ??  ?? Man hasst oder liebt ihn: Michel Houellebec­q gilt als Partyschre­ck der Literatur. Die Aufnahme aus dem Jahr 2017 zeigt den Autor in für seine Verhältnis­se gutem Zustand.
Man hasst oder liebt ihn: Michel Houellebec­q gilt als Partyschre­ck der Literatur. Die Aufnahme aus dem Jahr 2017 zeigt den Autor in für seine Verhältnis­se gutem Zustand.

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