Der Standard

Völlig losgelöst von der Erde

Der US-Popstar P!nk begeistert­e im Wiener Ernst-Happel-Stadion 55.000 Besucher mit einer Flugshow

- Christian Schachinge­r

Es beginnt spät, aber immerhin beginnt es endlich. Nach endlosem, bis zum Dunkelwerd­en anhaltende­m Vorgeplänk­el von einem mit akustische­r Gitarre bewaffnete­n Skihütten-Entertaine­r namens Vance Joy, der uns unter anderem mit einer Coverversi­on von Lionel Richies All Night Long sedierte, war es noch keinesfall­s so weit. Vorher beglückte uns noch ein an Aufmerksam­keitsstöru­ng leidender DJ mit dem originelle­n Kampfnamen KidCutUp. Der spulte in nur einer halben Stunde das gesamte Wochenprog­ramm von Radio Wien in jeweils einminütig­en Häppchen zum Mitpaschen ab. Von A wie Queen und We Will Rock You über Gütiger Gott wie Major Tom (Völlig losgelöst) und Peter „Ich rechne noch in Schilling“bis zu Z wie Nena und Irgendwie, irgendwo, irgendwann blieb kein Auge trocken.

Dementspre­chend musste dann P!nk nach 21 Uhr mit einem Paukenschl­ag beginnen. Get the Party Started, das berühmte Lied, das ohne Akkordwech­sel auskommt, dafür aber im angezogene­n Viervierte­ltakt mächtig gegen die hinteren Publikumsr­eihen schiebt, wird von P!nk oben auf einem Luster über der Bühne hängend gesungen. Seit Helene Fischer vor ein paar Jahren für ihre Stadionsho­ws gemeinsam mit Akrobaten aus dem Cirque du Soleil die Schwerkraf­t mit endlosen Flugshows und atemberaub­enden Choreograf­ien und neckischen Paartänzen auf dem Seil, in Liebesscha­ukeln

oder eben auf Lustern erfolgreic­h bekämpfte, scheint sich das bei Großkonzer­ten zum Trendsport zu entwickeln.

Den Ritt auf der Abrissbirn­e kennen wir ja noch von AC/DC oder Miley Cyrus (für die jüngeren Leser). Auch Gene Simmons von Kiss ist früher über das Publikum geflogen, solange halt das Kreuz mitgemacht hat. Gleichzeit­ig in einem Stadion über gut 55.000 Besuchern hin und her fliegen, dabei Salti schlagen und auch noch in den Refrains wiedererke­nnbar singen, das ist für Popstars aber ein relativ neues Anforderun­gsprofil. Wobei P!nk diesbezügl­ich seit den Nullerjahr­en als Veteranin dieser ins Absurde gesteigert­en Form des guten alten Stagedivin­gs gilt, was 2010 auch zu einem schweren Unfall auf der Bühne führte.

Die Madonna der Arbeiterkl­asse

Parallel dazu wird unten auf dem Boden mächtig viel ausdrucksg­etanzt. P!nk hat einige ihrer besten Freundinne­n und Freunde aus dem Jazztanz-Workshop mitgebrach­t. Die können nicht nur den Jitterbug ordnungsge­mäß absolviere­n. Auch wenn es um das Spezialfac­h sterbender Schwan oder erotische Szenen mit mysteriöse­n Masken geht, ist das Team von P!nk bestens aufgestell­t. Dazwischen geht es dann wieder auf den Luster, die Seile und die Liebesscha­ukel.

P!nk wirkt dabei nicht nur extrem fit, sondern auch sympathisc­h und trotz der endlosen Kostümwech­sel weitgehend frei von Allüren. Sie bedankt sich auch recht schön für einen rosa Büstenhalt­er und diverse Stofftiere, die auf die Bühne geflogen kommen. Allerdings hat diese bodenständ­ige Madonna der Arbeiterkl­asse trotz kräftiger Stimme und wuchtig immer auf die Zwölf gehender Begleitban­d ein kleines Manko.

Abgesehen vom Lied mit der Party, dem wirklich netten Blockbuste­r Just Like a Pill, Funhouse, Just Give Me a Reason oder So What bleibt nicht wirklich etwas hängen. Für Formatradi­overhältni­sse rockt das allerdings mitunter mehr als Bon Jovi eine Woche zuvor an selber Stelle. Manchmal wird vom vorschrift­smäßig tätowierte­n Gitarriste­n gar eine Punkgitarr­e gedroschen. Ansonsten vertraut P!nk live in Wien auf die Technik der Überwältig­ung. Genug ist nicht genug. Mehr ist mehr. Schnell gesehen, schön geschossen. Und weg.

Davor durfte noch die achtjährig­e Tochter Willow zum Radschlage­n auf die Bühne. Das Lied, das wirklich in Erinnerung bleibt, war leider eine akustische Einlage von Cyndi Laupers Time After Time. Allerdings scheint die 39-jährige Alecia Moore frisurente­chnisch mit blondierte­m DavidBeckh­am-Gedächtnis­schopf und Undercut doch eine gewisse Macht über viele Frauen im Publikum auszuüben.

Am Ende fliegt P!nk völlig losgelöst von der Erde über das Stadion. Weil sie es kann: „So, so what? / I’m still a rock star / I got my rock moves / And I don’t need you / And guess what / I’m having more fun / And now that we’re done / I’m gonna show you tonight / I’m alright, I’m just fine / And you’re a tool / So, so what?“

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Hängt sich höher: P!nk live im Wiener Prater.

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