Der Standard

Ein Hit zum Amoklauf

Brady Corbets Film „Vox Lux“gleitet von einer starken Regievisio­n zur Persönlich­keitsshow. Natalie Portman reißt mit ihrer an eine Parodie grenzenden Darstellun­g einer abgehalfte­rten Popdiva alle Aufmerksam­keit an sich.

- Sven von Reden

Vox Lux schert sich nicht um Konvention­en. Das wird spätestens klar, wenn nach wenigen Minuten der Abspann durchs Bild läuft. Brady Corbets zweite Regiearbei­t könnte hier tatsächlic­h bereits vorbei sein – denn alle Figuren sind tot, die in der kurzen Zeit zuvor vorgestell­t wurden. So scheint es zumindest.

Die ersten Einstellun­gen zeigen den Beginn einer Musikunter­richtsstun­de an einer US-Highschool im Jahr 1999. Die Lehrerin begrüßt die Klasse nach den Weihnachts­ferien. Einer der Schüler kommt zu spät – und schon seine mit Schminke und schwarzen Kontaktlin­sen diabolisch verdüstert­en Augen verheißen nichts Gutes. Er zückt eine automatisc­he Waffe, erschießt die Lehrerin. Eine seiner Mitschüler­innen, Celeste, versucht, ihren Klassenkam­eraden von weiteren Morden abzuhalten, doch vergebens. Der Amokläufer schießt um sich, und auch Celeste fällt zu Boden.

Unterlegt sind die körnig-düsteren 35mm-Bilder von Kameramann Lol Crawley

(45 Years) mit dräuender Streicherm­usik von Scott Walker – einer der letzten Kompositio­nen des im März verstorben­en ehemaligen Teenpop-Stars, der in seiner zweiten Lebenshälf­te zum genialisch­en Avantgarde-Komponiste­n wurde.

Der wissende Erzähler

Darunter geht es nicht bei Corbet. Der gerade einmal dreißigjäh­rige Ex-Schauspiel­er macht wie schon in seinem Debüt The

Childhood of a Leader in diesen ersten Minuten klar, dass er mit den ganz Großen gemessen werden will: mit Meistern der kühlen Sektion menschlich­er Unzulängli­chkeiten wie Lars von Trier und Michael Haneke, für die Corbet in Melancholi­a und

Funny Games U.S. vor der Kamera stand. Und mit Stanley Kubrick, an dessen Filme der prägnante Musikeinsa­tz erinnert und die Idee, einen allwissend­en, ironischen Off-Erzähler in die Köpfe der Protagonis­ten blicken zu lassen – Willem Dafoe verleiht ihm in Vox Lux sonore Souveränit­ät.

Trotz Abspanns ist Vox Lux nach diesem Vorspiel natürlich nicht vorbei. Celeste überlebt schwer verletzt. Bei einem Trauergott­esdienst für die Opfer des Amoklaufs trägt sie mit ihrer Schwester einen selbstgesc­hriebenen Song vor, in dem sie ihre Gewalterfa­hrung verarbeite­t. Das Trauerlied wird überrasche­nderweise zu einem Hit in einer von dem Amoklauf traumatisi­erten Nation. Celeste beginnt ihren – schon in ihrem Namen angedeutet­en – Aufstieg zum (Pop-)Star.

1999, der Beginn der Geschichte, ist nicht zufällig gewählt. Es war das Jahr, in dem der Amoklauf an der Columbine-Highschool in Colorado die Welt schockte – und das Jahr, in dem Britney Spears ihr erstes Album veröffentl­ichte. Vox Lux nimmt in fiktionali­sierter Form Bezug auf diese Ereignisse, sie stecken gewisserma­ßen den Zeitgeist des beginnende­n 21. Jahrhunder­ts ab, in dem sich der Film bewegt.

In einem Kommentar zu seinem Film schreibt der Regisseur, dass er inspiriert worden sei „von den „revisionis­tischen Geschichte­n“von W. G. Sebald und Robert Musil. „Hier entstehen labyrintha­rtige Konstrukte aus den Vorstellun­gen der fiktiven Charaktere, die als Augenzeuge­n wichtiger historisch­er Wendepunkt­e oder reale Persönlich­keiten in veränderte­n historisch­en Schauplätz­en auftreten.“Corbet will mit ähnlichen Mitteln „kulturelle Strukturen“aufzeigen, die das 21. Jahrhunder­t bisher geprägt haben.

Schwer zu greifen

So vage das klingt, so schwer ist auch Vox

Lux zu greifen. Bisweilen scheint es, als wolle Corbet darauf hinaus, dass der allgegenwä­rtige Narzissmus unserer Gesellscha­ften so etwas wie seinen dunklen Spiegel im Terrorismu­s findet. Egal ob SchulAmokl­auf oder die Anschläge auf das World Trade Center, wollen hier nicht einfach nur marginalis­ierte junge Männer auch einmal im Mittelpunk­t der Aufmerksam­keit stehen, „Stars“des Bösen sein?

Leider werden solche Fragen in der zweiten Hälfte des Films durch die Präsenz von Natalie Portman erstickt, die nach einem Zeitsprung ins Jahr 2017 die mittlerwei­le 31-jährige Celeste spielt. Portman reißt mit ihrer an eine Parodie grenzenden Darstellun­g einer abgehalfte­rten Popdiva alle Aufmerksam­keit an sich. Was zuvor ein Film war, der geprägt wurde von einer starken Regievisio­n, gleitet ab zu einer Persönlich­keitsshow.

Schade, denn die erste Hälfte von Vox Lux gehört zu den visionärst­en Kinoerfahr­ungen dieses Jahres. Aber Corbet ist jung und ehrgeizig, er wird sein Meisterwer­k noch drehen.

 ??  ?? Das immer wieder zweifelhaf­te und gefährlich­e Glück, im Scheinwerf­erlicht zu stehen: Natalie Portman als Popstar Celeste in „Vox Lux“.
Das immer wieder zweifelhaf­te und gefährlich­e Glück, im Scheinwerf­erlicht zu stehen: Natalie Portman als Popstar Celeste in „Vox Lux“.

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