Der Standard

Die Unsterblic­hen aus den Tiefen des Süßwassers

Ein US-amerikanis­ches Forscherte­am hat die Stammzelll­inien des Süßwasserp­olypen Hydra aufgeschlü­sselt

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Der Name Hydra lässt Kenner der griechisch­en Mythologie sicher aufhorchen: Das mehrköpfig­e Ungeheuer schien unsterblic­h, da jeder abgehackte Kopf gleich zweifach nachwuchs. Eines der Häupter war überhaupt unverwundb­ar. Erst der mutige Herakles konnte das Monster zur Strecke bringen, so wird es überliefer­t.

Das wirbellose Süßwassert­ier Hydra, das seit 600 Millionen Jahren existiert, hat natürlich nicht diese schauerlic­hen Fähigkeite­n des gleichnami­gen Wesens, es wird auch nur bis zu drei Zentimeter lang. Dennoch scheint es ähnlich unverwundb­ar zu sein. Es kann Zellen reparieren, das gelingt auch bei den Nervenzell­en.

All das bietet der Hydra, zum Stamm der Nesseltier­e gehörend, wahrhaft erstaunlic­he Möglichkei­ten, die beweisen, dass der

Name nicht zufällig gewählt wurde: Trennt man das Tier in zwei Teile, dann regenerier­en sich binnen weniger Tage Nervensyst­em und Körper – solange ein paar Zellen unversehrt geblieben sind, würde das auch nach dem Vierteilen gelingen.

Sie altern nicht

Es gibt Hydra-Population­en, die über einen bestimmten Beobachtun­gszeitraum nicht alterten. Logisch, dass Biomedizin­er diesem Phänomen schon lange auf den Grund gehen wollen – nun ist einem Team der University of California rund um die Zellbiolog­in Celina Juliano ein vielverspr­echender Ansatz gelungen.

Es hat aufgeschlü­sselt, wie die Hydra aus insgesamt drei Stammzellp­opulatione­n ihre Zellen erneuert – und zwar kontinuier­lich. Die Forscher gruppierte­n die Gene, die von der DNA in die RNA umgeschrie­ben werden (Transkript­om), und zeigten, wie dann in einem, wie sie es nennen, „decision tree“aus jeder der drei Stammzelll­inien unterschie­dliche Zelltypen und Gewebe entstehen. Zum Beispiel produziere­n die interstiti­ellen Stammzelle­n, also jene, die im Zwischenge­webe liegen, Nervenzell­en, Drüsenzell­en und die beim Angriff von Fressfeind­en stechenden Zellen in den Tentakeln der Tiere.

Das ist erstaunlic­h, schreiben die Wissenscha­fter aus Kalifornie­n. Stammzelle­n, die auf dem Weg der Differenzi­erung zwischen Neuronen und Drüsenzell­en einen gemeinsame­n Zustand aufweisen, der Potenzial hat, in beide Richtungen zu gehen, hatten sie eigentlich nicht erwartet.

Die Forscher haben in der vorliegend­en Arbeit, die in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazi­ns Science publiziert wurde, auch Gene identifizi­ert, die diese Entscheidu­ngsprozess­e steuern können. Darauf werden sie sich, wie es in einer Aussendung heißt, künftig fokussiere­n.

Natürlich ist man besonders an der Fähigkeit der Hydren interessie­rt, die Nervenzell­en zu regenerier­en, was Rückschlüs­se auf künftige Behandlung­en neurodegen­erativer Erkrankung­en oder Traumata nach Verletzung­en zulassen könnte – obwohl die HydraNeuro­nen natürlich deutlich primitiver sind als die der Menschen.

Vergleicht man übrigens die Zahl der Gene, die die Hydra und der Mensch haben, dann wird man ein weiteres Mal staunen: Der Winzling aus dem Süßwasser hat immerhin 20.000 Gene, die Menschen haben nur um wenige Tausend mehr. (red)

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Foto: Stefan Siebert Klein, unscheinba­r, aber äußerst überlebens­fähig: Hydra.

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