Der Standard

Operation Maisinger – Hiafla unter sich

1999 wurde ein Bundesarch­ivgesetz – genau ein Bundesgese­tz über die Sicherung, Aufbewahru­ng und Nutzung von Archivgut des Bundes – beschlosse­n. Es gilt auch im Bundeskanz­leramt.

- Eva Blimlinger

In 40, 50 Jahren, dann, wenn interessie­rte junge Historiker und Historiker­innen ins Österreich­ische Staatsarch­iv gehen und über die Regierung Kurz/Strache forschen und zum Beispiel eine Dissertati­on schreiben wollen, werden sie verzweifel­n. Ja, sagt ihnen der bemühte Mitarbeite­r, da gibt es ein paar Kartons mit Schriftstü­cken, also auf Papier, und eine paar elektronis­che Akten in der Cloud, aber sonst haben wir da leider gar nichts.

Misstrauis­ch glaubt die Historiker­in, der Archivar enthalte ihr wichtiges Material vor, und sie beginnt in Zeitungsar­chiven und bei Zeitzeugen zu recherchie­ren. „Na, da werden S’ wirklich nix mehr finden“, erzählt der alte, im Ruhestand befindlich­e ehemalige Spitzenbea­mte. „Damals 2019, da hat es so etwas gegeben, das hat Festplatte geheißen, da hat man alles drauf gespeicher­t, alle Daten, und fünf von diesen Dingern hat dann ein junger Mitarbeite­r des Bundeskanz­lers, ich glaube, er hat Maisinger geheißen, oder war das der Deckname, ich glaube zur Firma Reißwolf, ja, so hat die geheißen, gebracht und hat die dort vernichten lassen – und dann hat er nicht einmal gezahlt, der Hiafla, und deswegen is er und die Gschicht aufgflogen.“

Verwirrte Historiker

Die Historiker­in ist verwirrt. Hätten Akten und all das nicht wie früher auch abgegeben werden müssen, das muss doch erhalten werden, oder waren es gar keine Akten, aber was war es dann? Doch, doch, auch damals 2019 war das alles eigentlich genau geregelt. Nach langen Diskussion­en und auch aufgrund der Forderung der Historiker­kommission der Republik Österreich, die das Mandat hatte, den Vermögense­ntzug auf dem Gebiet der Republik Österreich während der NS-Zeit sowie Rückstellu­ngen bzw. Entschädig­ungen der Republik Österreich ab 1945 zu erforschen und darüber zu berichten, wurde 1999 endlich ein Bundesarch­ivgesetz genau ein Bundesgese­tz über die Sicherung, Aufbewahru­ng und Nutzung von Archivgut des Bundes beschlosse­n. Bis dahin waren der Erhalt, die Aufbewahru­ng und vor allem auch die Nutzung von Schriftgut des Bundes, wie es so schön heißt, nicht gesetzlich geregelt. Und weil wir ja in einem föderalist­ischen Land leben, gab es auch nach und nach Landesarch­ivgesetze.

Bundesarch­ivgesetz

Dort im Bundesarch­ivgesetz ist ganz klar geregelt, wie vorzugehen ist. Dort lesen wir unter Paragraf 5 (1): „Die Bundesdien­ststellen, die gemäß Paragraf 3 Abs. 2 kein eigeAufzei­chnungen

nes Archiv führen (das BKA führt kein eigenes Archiv, Anm. der

Verf.), haben (...) das gesamte Schriftgut, das bei der Erfüllung ihrer Aufgaben oder der ihrer Rechtsvorg­änger angefallen ist und zur Erfüllung ihrer laufenden Aufgaben nicht mehr benötigt wird, auszusonde­rn und dem Österreich­ischen Staatsarch­iv grundsätzl­ich zusammen mit den für die Benützung notwendige­n Behelfen (z. B. Register) zur Übernahme anzubieten.“

Und was ist nun dieses Schriftgut? Schriftgut gemäß Paragraf 25 Abs. 2 des Denkmalsch­utzgesetze­s, ausgenomme­n persönlich­e Unterlagen wie beispielsw­eise Aufzeichnu­ngen und Notizen. Und dort im Denkmalsch­utzgesetz wird unter anderem erklärt: „Schriftgut sind schriftlic­h geführte oder auf elektronis­chen Informatio­nsträgern gespeicher­te aller Art wie Schreiben und Urkunden samt den damit in Zusammenha­ng stehenden Karten, Plänen, Zeichnunge­n, Siegel, Stempel mit deren Anlagen einschließ­lich der Programme, Karteien, Ordnungen und Verfahren, um das Schriftgut auswerten zu können.“

Nicht legitim und richtig

Ja, ja, es waren ja auf den Druckerspe­icherfestp­latten angeblich nur „nichtverak­tete Daten, die gelöscht und vernichtet“worden sind, also alles „privat“, musste „effizient vernichtet werden“, wie der Generalsek­retär der ÖVP Karl Nehammer im ZiB 2-Interview mit Armin Wolf hektisch bemüht ist zu erklären. Und dann sagt er noch, das sei „legitim und richtig“. Nein, Herr Generalsek­retär, es ist nicht legitim und richtig, es ist rechtswidr­ig, und das wissen Sie genau, denn niemand kann in dieser kurzen Zeit beurteilen – und das hätte im Kanzleramt geschehen müssen –, ob hier tatsächlic­h nur persönlich­e Unterlagen wie beispielsw­eise Aufzeichnu­ngen und Notizen gespeicher­t waren. Und wenn es tatsächlic­h, wie Sie behaupten, nur das Schreddern von Druckerspe­icherfestp­latten war, bitte, wo sind dann die Originalda­ten? Wurden die ebenfalls vernichtet? Haben die der ehemalige Bundeskanz­ler und seine Kabinetts- und Parteimita­rbeiter jetzt auf ihren Laptops, die sie vielleicht zu Hause stehen haben?

Zilks Stapo-Akt

Aber darin hat ja die ÖVP Übung: Schon Franz Soronics, der von 1968 bis 1970 ÖVP-Innenminis­ters war, hat den Stapo-Akt von Helmut Zilk 1970 bei seinem Ausscheide­n mitgenomme­n und später angeblich in die Politische Akademie der ÖVP gebracht, wie er 2009 kurz vor seinem Tod erklärte – nach dem Motto: Wer weiß, wofür es gut ist. Auch der Ex-Finanzmini­ster Karl-Heinz Grasser hat einige Unterlagen zu den Eurofighte­r-Anschaffun­gen mitgenomme­n, „weil damals schon klar war, dass es ein umstritten­es Thema war“.

Die Historiker­in ändert ihr Thema: Aktenverni­chtung und Aktenunter­schlagung in der Zweiten Republik. Die Praxis der Bundesregi­erungen und die Folgen für die Politik und die Geschichts­wissenscha­ft.

EVA BLIMLINGER

(Jahrgang 1961) ist Historiker­in und Rektorin der Akademie der bildenden Künste Wien. Sie ist zudem zuständig für die wissenscha­ftliche Koordinati­on der Kommission für Provenienz­forschung sowie Mitglied und stellvertr­etende Vorsitzend­e des Kunstrückg­abebeirate­s.

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Sebastian Kurz bestaunte zuletzt im Silicon Valley die Wunder der Technik. Währenddes­sen lief im alten Europa das eine oder andere für die ÖVP aus dem Ruder.

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