Der Standard

Boris Johnson alias Boris Farage

Großbritan­niens Neopremier zieht die Tories auf das Terrain der Brexit-Party

- Sebastian Borger

Boris Johnsons erste Stunden in der Londoner Downing Street und sein erster Auftritt als britischer Premiermin­ister im Unterhaus lassen nichts Gutes ahnen. Das brutale Abschlacht­en seines letzten innerparte­ilichen Rivalen Jeremy Hunt und dessen Unterstütz­er wirkt rachsüchti­g und kurzsichti­g.

Wie will Johnson seine Tory-Partei, geschweige denn das gesamte Vereingte Königreich, einen, wenn er die Liberalkon­servativen geschlosse­n auf die Hinterbänk­e der Fraktion schickt und sich im Kabinett beinahe ausschließ­lich mit Brexit-Ultras vom rechten Flügel umgibt? Hinzu kommt, dass das Land mitten in der politischm­ilitärisch­en Krise um festgesetz­te Öltanker vor Gibraltar und im Persischen Golf sowohl den Außen- als auch den Verteidigu­ngsministe­r auswechsel­t. Beständigk­eit und Verlässlic­hkeit sehen wahrlich anders aus.

In seinen merkwürdig unstruktur­ierten Reden – am Mittwochna­chmittag vor seinem Amtssitz, am Donnerstag im Parlament – wiederholt­e der neue Premiermin­ister nicht nur die Parolen vom Brexit um jeden Preis („No Deal“), er zementiert­e den Austrittst­ermin 31. Oktober ein, indem er die Nominierun­g eines britischen Vertreters für die neue EU-Kommission unter allen Umständen ausschloss.

Damit nicht genug: Er machte auch, sozusagen vorab, die EU für das Scheitern neuer Verhandlun­gen verantwort­lich, denunziert­e die Auffanglös­ung für Irland als „undemokrat­isch“und drohte damit, Großbritan­nien werde seine vertraglic­hen Zahlungsve­rpflichtun­gen nicht einhalten. So wird sich das angeblich angestrebt­e „herzliche und warme“Verhältnis zu den EU-Verbündete­n nicht einstellen.

Der neue Regierungs­chef, spottete eine Abgeordnet­e der Opposition, verwechsle wohl „wildes Armwedeln und Getöse“mit dem Optimismus, den er dem Land erklärterm­aßen verordnen will. Tatsächlic­h kamen Johnsons erste Auftritte einer Liebeserkl­ärung an das „tollste Land der Welt“gleich. Damit nimmt der Konservati­ve ein tiefes Bedürfnis in der Bevölkerun­g auf. Die Briten haben die lange Periode der Lähmung unter Theresa May satt, selbst Europa-freundlich­e Bürger wünschen sich ein Ende der Brexit-Agonie. Freilich haben sie das derzeitige Unterhaus ohne klare Mehrheit gewählt und können sich

laut Umfragen bis heute nicht recht entscheide­n, ob sie wirklich die EU verlassen oder doch lieber verbleiben wollen.

Und die anderen Probleme, über die Johnson Arme fuchtelnd hinwegrede­t, bleiben bestehen: Wie verhält sich Großbritan­nien in der Klimakrise? Welche Infrastruk­turprojekt­e sind finanzierb­ar, welche nicht? Positionie­rt sich die Insel außenpolit­isch zukünftig näher an Europa oder näher an Donald Trumps USA?

Innenpolit­isch sprach Johnson von neuen Initiative­n für die „vergessene­n Menschen und vernachläs­sigten Städte“. Gemeint sind jene Regionen, vor allem in Mittel- und Nordenglan­d, in denen viele Menschen mit dem Brexit-Votum vor allem ihrem Frust über die Londoner Regierung Ausdruck verliehen. Kann es Zufall sein, dass die Brexit-Party des Marktschre­iers Nigel Farage nicht nur dem „No Deal“das Wort redet, sondern auch Milliarden­investitio­nen für „den Rest“des Landes jenseits von London und seinem Speckgürte­l fordert?

Der neue Premier zieht seine Partei und die Regierung nach rechts auf das Terrain der Brexit-Party. Im Amt ist seit Mittwoch ein Boris Farage.

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