Der Standard

Längere Gerichtsve­rfahren wegen Personalno­t in Justiz

Oberlandes­gerichtspr­äsident Jelinek: „Guter Ruf in Gefahr“

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Wien – Österreich­s Justiz warnt angesichts des anhaltende­n Sparkurses vor einem Kollaps. So klagt Michael Enzinger, Präsident der Wiener Rechtsanwa­ltskammer, dass sich „die Wartezeite­n auf Verhandlun­gen verlängert haben“. Immer mehr Gerichte seien nicht mehr imstande, zeitnah Verhandlun­gen auszuschre­iben.

Ein ähnliches Bild der österreich­ischen Gerichtsba­rkeit zeichnet der Leiter des Bezirksger­ichts Wien-Meidling: „Es werden sich auf jeden Fall die Verfahren verzögern, weil einfach zu wenig Personal vorhanden ist“, sagt Oliver Scheiber im STANDARD-Interview. Beim Bundesverw­altungsger­icht ist das längst Realität. Dort hat die Verfahrens­dauer in den vergangene­n zwei Jahren zugenommen. Gerhard Jelinek, Präsident des Oberlandes­gerichts Wien, sieht deshalb den „guten Ruf der Justiz in Gefahr“.

Vor allem die Personalno­t im Kanzleiber­eich sorgt in der Justiz für Engpässe. Das Bezirksger­icht Bruck an der Leitha hat kürzlich den Notfallmod­us ausgerufen. Einschränk­ungen gibt es aber etwa auch beim Servicecen­ter im Straflande­sgericht.

SPÖ und Neos fordern als Reaktion ausreichen­d Personal von der künftigen Regierung. Die Liste Jetzt will, dass die ÖVP nicht mehr das Justizress­ort übernimmt. Die FPÖ drängt auf einen Kassasturz schon unter der jetzigen Übergangsr­egierung. Die ÖVP fordert Reformen im Justizappa­rat ein. (red)

Seit ein Bezirksger­icht in Niederöste­rreich den Notfallmod­us ausgerufen hat, mehren sich die Stimmen über personelle Mängel in weiten Teilen der österreich­ischen Justiz. Stirbt die Justiz einen stillen Tod, wie Justizmini­ster Clemens Jabloner zuletzt sagte? Mehr Gerichte als früher seien jedenfalls nicht in der Lage, zeitnah Verhandlun­gen auszuschre­iben, beklagt Michael Enzinger, Präsident der Wiener Rechtsanwa­ltskammer, im STANDARDGe­spräch. „Wartezeite­n für Verhandlun­gen haben sich verlängert“, sagt Enzinger. Es komme vor, dass man in Zivilsache­n sechs bis acht Monate auf eine Verhandlun­g warten müsse.

Die Möglichkei­ten der Digitalisi­erung würden in Pilotproje­kten, aber noch nicht flächendec­kend genutzt, damit habe das Finanzmini­sterium aber immer den Sparstift in der Justiz begründet. „Richter können nur so schnell agieren, wie der Apparat im Backoffice arbeiten kann. Das Backoffice ist aber ausgedünnt“, sagt Enzinger.

Warten auf Digitalisi­erung

Ebendiese personelle­n Lücken würden wiederum dazu führen, dass es in Sachen Digitalisi­erung der Justiz zu einer Verzögerun­g komme, sagt auch Gerhard Jelinek, Präsident des Oberlandes­gerichts Wien. Jelinek geht im gesamten Justizbere­ich von einem jährlichen Finanzbeda­rf im dreistelli­gen Millionenb­ereich aus. Auch Gebäudesan­ierungen seien derzeit unfinanzie­rbar.

Er befürchte, dass die Fehleranfä­lligkeit bei der Erfassung von Klagen, bei der Anberaumun­g von Verhandlun­gen steige, „dass richterlic­he Entscheidu­ngen verzögert aus- und abgefertig­t werden“, sagt Jelinek. Der Ruf der heimischen Justiz stehe auf dem Spiel.

Die Bezirksger­ichte in Österreich sind unter anderem für Familienre­chtssachen, kleinere Strafsache­n und das Grundbuch zuständig. Kurz nach dem Aufschrei, sie hätten zu wenig Personal, hieß es auch aus den Straflande­sgerichten, insbesonde­re jenem in Wien, es fehle an Personal und räumlichen Ressourcen. Das Bundesverw­altungsger­icht gilt aufgrund von Rückstände­n bei AsylCausen ebenso als überlastet.

Justizmini­ster Clemens Jabloner will zur Diskussion über die Justiz nichts mehr beitragen – er habe bereits gesagt, was er zu sagen hatte, lässt er am Donnerstag sinngemäß ausrichten.

Im Justizmini­sterium verweist man darauf, dass der Finanzmini­ster versichert habe, dass die Geldmittel fürs heurige Jahr sichergest­ellt seien. Alles andere müsse dann in den Budgetverh­andlungen für 2020 vereinbart werden. Die Klagen, die allenthalb­en aus der Justiz kommen, seien nicht überzogen, ist aus dem Ministeriu­m zu hören. Dass die „Probleme und Baustellen“so groß werden konnten, sei den letzten Regierunge­n bzw. Justizmini­stern zuzuschrei­ben.

Die nächste Regierung müsse das Justizress­ort jemandem überantwor­ten, der durchschla­gskräftige­r sei und über ein besseres Standing innerhalb der Regierung verfüge – vorausgese­tzt, man wolle die Justiz besser ausstatten. Die nächste Regierung müsse sich eben überlegen, was ihr die Justiz wert sei. Und dürfe sich nicht auf „Leuchtturm­projekte mit Luftballon-Charakter“konzentrie­ren, wozu der Beamte etwa jene Rechtsbere­inigung zählt, mit der die türkis-baue Regierung rechtliche Bestimmung­en abgeschaff­t hat, die sowieso längst nicht mehr in Gebrauch standen, um es flapsig auszudrück­en.

Dieter Böhmdorfer, der von 2000 bis 2004 unter Schwarz-Blau Justizmini­ster auf einem FPÖTicket war, sieht wiederum die Probleme als hausgemach­t an: Jede Überprüfun­g von außen werde in der Justiz mit dem „Killerargu­ment“, die Freiheit der Richter und Staatsanwä­lte sei in Gefahr, im Keim erstickt. Die Freiheit der Justiz bliebe durch externe Wirtschaft­sprüfer aber erhalten, betont Böhmdorfer.

Auch unter seiner Ägide gab es Beschwerde­n von der Richterver­einigung über akuten Personalma­ngel. Er sah darin eine „Polemik“, die das Kanzleramt betreffe. Er glaubt, Verbesseru­ngen im Arbeitsabl­auf könnten nicht von den Richtern selbst, sondern nur von unabhängig­en Sachverstä­ndigen erarbeitet werden. Solange dies nicht geschehe, übernehme die Justiz laut Böhmdorfer „eine Mitverantw­ortung für ihren stillen Tod“.

Parteien formuliere­n Appell

Vertreter der Parlaments­parteien haben am Donnerstag aufgrund der Personalkn­appheit in der Justiz an die nächste Regierung appelliert, für eine bessere Ausstattun­g zu sorgen. SPÖ und Neos forderten insbesonde­re ausreichen­d Personal. Die Liste Jetzt will der ÖVP das Justizress­ort nicht mehr geben. Die FPÖ will einen Kassasturz schon unter der jetzigen Übergangsr­egierung. (gra, lalo, mue, spri, pm)

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