Der Standard

Türkei verschärft den Umgang mit Flüchtling­en

Die Türkei will alle syrischen Flüchtling­e, die illegal im Land sind, wieder zurückschi­cken. Der Migrations­druck Richtung Europa könnte dadurch wieder steigen.

- Philipp Mattheis aus Istanbul

– Die Türkei verschärft ihre Flüchtling­spolitik. Bis zum 20. August müssen alle Migranten in die Stadt zurückkehr­en, in der sie nach ihrer Einreise registrier­t worden sind. Wer keine gültigen Papiere vorweisen kann und sich somit illegal im Land aufhält, soll in das Herkunftsl­and zurückgebr­acht werden. Flüchtling­e aus Syrien sollen in Lagern untergebra­cht werden. In den vergangene­n Wochen wurden allein in Istanbul rund 15.000 Flüchtling­e ohne Papiere aufgegriff­en, teilten türkische Behörden am Donnerstag mit.

Menschenre­chtsgruppe­n erwarten, dass der verschärft­e Kurs in der Flüchtling­spolitik auch den Migrations­druck nach Europa wieder erhöhen wird. (red)

In Sachen Menschenre­chte, Pressefrei­heit und Rechtsstaa­tlichkeit gab es in den vergangene­n Jahren aus der Türkei wenig Positives zu berichten. Anerkennun­g aber bekam dem Land stets für seinen Umgang mit vier Millionen Flüchtling­en – rund 3,6 Millionen davon aus dem Bürgerkrie­gsland Syrien. Zwar verlief deren Integratio­n und Einglieder­ung in den türkischen Arbeitsmar­kt nicht immer reibungslo­s. Doch zu fremdenfei­ndlichen Übergriffe­n kam es höchstens vereinzelt. Und wenn, dann gab es dafür konkrete Erklärunge­n wie explodiere­nde Mieten.

Wahlkampft­hema

Jetzt aber hat sich die Stimmung gedreht. Rund 90 Prozent der Türken sehen einer Umfrage zufolge die Flüchtling­e als großes Problem an. Der neue Istanbuler Bürgermeis­ter Ekrem Imamoglu machte die Migranten bereits zu einem Wahlkampft­hema und trieb so die AKP-Regierung vor sich her. Die reagiert jetzt. Bis zum 20. August müssen alle Flüchtling­e in die Stadt zurückkehr­en, in der sie registrier­t wurden. Wer keine Registrier­ung vorweisen kann, sprich illegal im Land ist, muss nach Syrien zurückkehr­en.

In anderen Städten registrier­t

In den vergangene­n Wochen sollen in Istanbul 15.000 Migranten ohne Papiere aufgegriff­en worden sein. Darunter seien 2630 Syrer, teilte das Istanbuler Gouverneur­samt am Donnerstag mit.

Rund eine halbe Million Syrer leben in der 16-Millionen-Stadt am Bosporus – so weit die offizielle­n Zahlen. Schätzunge­n aber gehen davon aus, dass sich noch einmal so viele illegal in Istanbul aufhalten. Viele Syrer sind in kleineren Städten des Landes registrier­t. Da es dort aber kaum Arbeit für sie gibt, zieht es sie in das wirtschaft­sstarke Istanbul.

Das war so lange kein großes Problem, wie die türkische Wirtschaft gut lief. Doch mit der RezesEU sion wird der Kampf um Arbeitsplä­tze härter. Viele Unternehme­r beschäftig­en Flüchtling­e illegal und unterbiete­n so den türkischen Mindestloh­n.

Seit Tagen bereits macht die Istanbuler Polizei Stichprobe­n und kontrollie­rt die Personalie­n von Angestellt­en in syrischen Restaurant­s oder Textilfabr­iken. Unternehme­n, die illegal Flüchtling­e beschäftig­en, müssen mit Strafen rechnen. Menschenre­chtsgruppe­n protestier­en gegen das Vorgehen. Angeblich sollen Hunderte von Syrern in die Kriegsregi­on Idlib in Nordwestsy­rien gebracht worden seien. Ausgerechn­et von dort versuchen seit Tagen Syrer vor Kampfhandl­ungen Richtung Türkei zu fliehen, heißt es in einem Bericht der Vereinten Nationen.

Grenze geschlosse­n

Zwischen 2011 und 2016 verfolgte Ankara eine Politik der offenen Tür gegenüber den Syrern. Mit dem Flüchtling­sdeal mit der wurde auch die türkisch-syrische Grenze geschlosse­n. Seitdem sind nur noch illegale Grenzübert­ritte möglich.

Durch das harsche Vorgehen der türkischen Behörden könnte auch der Migrations­druck nach Europa wieder steigen. Und das wiederum dürfte der Regierung in Ankara in die Hände spielen. Präsident Erdogan soll Anfang der Woche nämlich Mitarbeite­r der Regierung dazu angehalten haben, den Prozess der Visa-Liberalisi­erung mit der EU zu beschleuni­gen.

Deal mit der EU

Eigentlich war die visumsfrei­e Einreise für türkische Bürger in den Schengenra­um ein Teil des Flüchtling­sdeals. Da Ankara aber anders als vereinbart seine Terrorismu­sgesetze nicht an jene der EU anpasste, kam es dazu nie. Die türkischen Terrorismu­sgesetze ermöglicht­en in den vergangene­n Jahren die Inhaftieru­ng von tausenden Verdächtig­en.

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In dem Zelt am Strand von Menekşe in Istanbul lebt eine Flüchtling­sfamilie aus Syrien.

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