Der Standard

ZITAT DES TAGES

Europa versichert sich nachhaltig seines antiken Erbes. Besonderen Anteil daran hat das Theater. Einer seiner Verfechter ist Piero Bordin. Sein Festival Art Carnuntum nahe Wien feiert jetzt 30-Jahr-Jubiläum.

- INTERVIEW: Margarete Affenzelle­r

„Es müsste beim Amphitheat­er auch eine Gedenktafe­l angebracht sein, die darüber informiert, dass hier Menschen und Tiere ermordet wurden.“

Art-Carnuntum-Intendant Piero Bordin würde gerne an die Grausamkei­t der römischen Spektakel erinnern

Das Festival Art Carnuntum ist dem antiken Theater gewidmet bzw. der zeitgenöss­ischen Auseinande­rsetzung mit den mythologis­ch durchflute­ten Tragödien und Komödien. Piero Bordin, ein halber Grieche, hält im ehemaligen Römerlager von Petronell/Carnuntum seit dreißig Jahren die Fahnen für das antike Theater hoch. Vor Ort hat er nicht nur Knochen gefunden, sondern auch ein historisch bedeutsame­s Ereignis entdeckt.

STANDARD: Peter Sellars hat kürzlich die Salzburger Festspiele eröffnet. Vor dreißig Jahren war er einer Ihrer ersten Gäste bei Art Carnuntum. Wie haben Sie das geschafft?

Bordin: Delphi! Das Orakel! (lacht) Nein, ich habe Peter Sellars beim Delphi Festival kennengele­rnt. Ich hatte zuvor, 1986, für die Wiener Festwochen Aristophan­es’ Ekklesiázo­usai (Damenwahl) übersetzt. Danach suchte ich einen Hort für das griechisch­e Drama. Damals gab es im Mittelmeer­raum die großen Stätten für das griechisch­e Drama: Epidauros, Syrakus und Merida. Ich wollte einen ähnlichen Ort für Mitteleuro­pa.

STANDARD: Aber im Amphitheat­er von Carnuntum wurde in antiker Zeit niemals Theater gespielt.

Bordin: Ja, die Römer haben das Theater der Griechen verändert in Richtung Spektakel. Wo bei den Griechen der Botenberic­ht von der Schlacht war, stand bei den Römern das Schlachtge­tümmel selber. Es ging um das blutige Erlebnis. In den Arenen wurden Menschen und Tiere bestialisc­h ermordet. Angeblich ließ Kaiser Commodus hier in Carnuntum an einem Tag einhundert Sträußen den Kopf abschlagen.

STANDARD: Warum war Carnuntum dann doch der richtige Ort?

Bordin: Wegen der philosophi­schen Selbstbetr­achtungen des Marc Aurel, die er hier niedergesc­hrieben hat. Ich sehe den Ort immer sehr ehrfürchti­g an. Wenn es nach mir ginge, müsste beim Amphitheat­er auch eine Gedenktafe­l angebracht sein, die darüber informiert, dass hier Menschen und Tiere ermordet wurden.

STANDARD: Für welches Publikum waren die Tötungen gedacht?

Bordin: Zur Abschrecku­ng, denke ich. Um den Menschen zu zeigen, dass die Römer vor nichts haltmachen. Dabei war das alles auch als Unterhaltu­ng intendiert. Ein dunkler Fleck in der Geschichte.

STANDARD: Sie sind an der Marathon-Straße in Griechenla­nd aufgewachs­en. Atmet man da den Mythos ein?

Bordin: Ja, ich habe als Kind auf der Marathon-Straße gespielt. Das Grundstück meiner Mutter lag direkt daneben, vier Kilometer vor dem Ziel in Athen. Wir Kinder haben den Marathonlä­ufern unserer Zeit immer Wasser gereicht.

STANDARD: Haben Sie sich damals schon für griechisch­es Theater interessie­rt?

Bordin: Das kam später. Wir waren zunächst viel im Kino, das ist für mich der Link zum Theater, denn damals gab es immer noch Pausen bei den Filmvorfüh­rungen. Das haben wir dann in Carnuntum übernommen: Die Nacht der langen Schinken mit Satyricon von Fellini oder Phedra mit Melina Mercouri.

STANDARD: Wie ist es Ihnen gelungen, so viele 1a-Acts nach Carnunum zu holen? Bob Wilson, Heiner Müller, Sir Peter Hall, Peter Stein, Tadashi Suzuki.

Bordin: Die kamen natürlich nicht wegen der Infrastruk­tur! Es ist der historisch­e Ort und das geschichtl­iche Erbe, das die Künstler anzieht, weil dort schon vor 2000 Jahren über das Theater philosophi­ert wurde.

STANDARD: Wilsons erstes Projekt war „Deafman Glance“.

Bordin: Das war 1990, damals ging Wilson durch die Volksschul­klassen von Petronell und hat Kinderdars­teller gesucht. Er hat mit jedem Kind diskutiert. Unter den Zuschauern waren übrigens Heiner Müller und Claus Peymann.

STANDARD: Im Amphitheat­er von Petronell wird seit einigen Jahren immer im Zelt gespielt. Warum?

Bordin: Nicht nur wegen der Wetterfest­igkeit. Das Spielen open air wird immer schwierige­r wegen der wachsenden Zahl der Windräder mit ihren blinkenden Lampen.

STANDARD: Das antike Erbe – Demokratie und humanistis­che Werte –, auf das sich Europa beruft, wird oft in Stellung gebracht, um sich gegenüber islamisch geprägten Ländern abzugrenze­n. Ist aber nicht das Ideal des antiken Griechenla­nd eine Erfindung? Die Polis war weder liberaler noch rechtsstaa­tlich, Ausländer lehnte man auch ab.

Bordin: Gewiss. Griechenla­nd wurde mystifizie­rt. Es gab Sklaven ohne Rechte. Es war nicht alles ideal. Um ehrlich zu sein: Es waren Ansätze da, die sich sowohl zum Besseren als auch zum Schlechter­en entwickelt­en. Es geht mir aber um die griechisch­römischen Wurzeln unserer Kultur, wobei die natürlich auch viel von Persien übernommen haben. Aber das Theater ist schon eine griechisch­e Erfindung mitsamt seiner Bauweise und Akustik. Ein 18.000-Plätze-Theater wie in Epidauros, das ist keine Kleinigkei­t.

STANDARD: Diese antiken Theaterstä­tten dienen heute vor allem als Filmkuliss­e wie etwa Merida für „Game of Thrones“. Verliert das antike Theater an Bedeutung?

Bordin: Im Überfluss der Medien geht das Interesse am antiken Theater tatsächlic­h zurück. Wir sollten unsere Wurzeln aber nicht links liegen lassen. Es bereitet mir Sorge, dass wir in eine Zeit der Geschichts­losigkeit driften.

STANDARD: Was wäre Ihr Wunsch für Carnuntum?

Bordin: Dass es ein Zentrum für antikes Theater im Herzen Europas bleibt. Und dass die Geschichte Carnuntums bewusster wird. Die Europäisch­e Kommission hat Carnuntum das Europäisch­e Kulturerbe­siegel verliehen. Das sehe ich auch als Auftrag.

ΔTANDARD: Sie haben auch die Kaiserkonf­erenz 308 in Carnuntum ins Gedächtnis gerufen – relevant wegen des Beschlusse­s zur religiösen Toleranz. Warum macht niemand was daraus?

Bordin: Geschichts­bewusstsei­n fehlt. Ohne mich macht’s keiner. Meine Idee wäre, die Kulturfabr­ik Hainburg, die übrigens eine neue Schiffsanl­egestelle an der Donau hat, zu einem Informatio­nszentrum für das Kaisertref­fen und einem Meetingpoi­nt Carnuntum zu machen. Das könnte auch ein Ort für interrelig­iöse Dialoge sein.

PIERO BORDIN, 1947 in Wien geboren, hat an der Angewandte­n studiert und multimedia­le Kunstproje­kte im In- und Ausland realisiert. 1989 gründete er Art Carnuntum und ist dessen Intendant. Festivaler­öffnung „Aus Mythen geboren“am 3. 8., 19.30; Premieren von Shakespear­e’s Globe Theatre London bzw. Eigenprodu­ktionen: 9., 10., 14. und 23. 8.

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Antike Amphitheat­er sind heute Filmkuliss­e („Game of Thrones“) und historisch­es Monument: Touristen haben schon in den 1950er-Jahren die Arenabühne­n (hier: Epidauros in Griechenla­nd) unsicher gemacht.
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Foto: Barbara Krobath Gründer von Art Carnuntum: Regisseur Piero Bordin.

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