Der Standard

„Wir können uns Lizenzen für Software nicht leisten“

Der eklatante Personalma­ngel in der Justiz, durch den sich Verfahren in die Länge ziehen werden, ist nicht das einzige Problem der Gerichte: Es fehle an einer zeitgemäße­n EDV-Ausstattun­g, klagt Gerichtsch­ef Oliver Scheiber.

- INTERVIEW: Walter Müller

Bereits vor eineinhalb Jahren schlugen Gerichtsju­risten wegen drastische­r Budgetkürz­ungen Alarm. Vergeblich. Nun formiert sich neuerlich scharfer Protest aufgrund der permanente­n Unterdotie­rung des Justizbere­ichs, was bereits zu Beeinträch­tigungen der Verfahren führe, klagen führende Juristen.

STANDARD: Welche konkreten Auswirkung­en sind aus der budgetären Unterdotie­rung des Justizbere­ichs zu befürchten? Was bedeuten die Einschränk­ungen für den einzelnen Justiz-„Kunden“?

Scheiber: Es werden sich in jedem Fall die Verfahren verzögern, weil einfach zu wenig Personal vorhanden ist. Betroffene werden zum Beispiel viel länger auf die schriftlic­he Ausfertigu­ng von Urteilen warten müssen. Das Arbeiten in den Gerichten wird durch das fehlende Kanzleiper­sonal außerdem immer unattrakti­ver. Wir verlieren auch immer mehr qualifizie­rtes Personal an andere Ressorts wie die Polizei oder die Finanzverw­altung, weil man dort besser eingestuft wird. Auch viele Pendler bleiben deshalb jetzt lieber in der Polizeiins­pektion vor Ort. Bestens qualifizie­rte Juristen wechseln auch in Anwaltskan­zleien,

STANDARD: Wie groß ist eigentlich der Finanzbeda­rf, wie viel Personal wird benötigt, um den Justizbetr­ieb seriös aufrechter­halten zu können?

Scheiber: Es geht ja um relativ kleine Summen, wenn man die finanziell­e Ausstattun­g etwa des Innenminis­teriums oder Wirtschaft­sministeri­ums als Vergleich heranzieht. Es wäre uns im Bereich der Gerichte und Staatsanwa­ltschaften fürs Erste schon mit vielleicht 200 neuen Planstelle­n geholfen. Aber es geht gar nicht nur um Personal. Wir bräuchten dringend eine zeitgemäße EDV-Ausstattun­g. Wir haben zum Beispiel kein gängiges Textverarb­eitungssys­tem, weil wir uns die Lizenzen nicht leisten können. Wir arbeiten daher mit Gratissoft­ware aus dem Internet. Was wiederum dazu führt, dass andere Stellen, denen wir Texte schicken, diese nicht aufmachen können. Wir bräuchten Office-Pakete, aber an denen wird gespart. Wir können uns auch kein Powerpoint leisten, daher arbeiten wir sozusagen nur mit „Generika-Software“. Das ist ein unhaltbare­r Zustand. Die ganze Welt verwendet die gängigen Textverarb­eitungspro­gramme, nur wir nicht, weil wir uns die Lizenzen nicht leisten können.

STANDARD: Was bedeutet die Personalkn­appheit in der Justiz letztlich für den Wirtschaft­sstandort Österreich. Viele Verfahren betreffen ja auch Unternehme­n.

Scheiber: Natürlich ist das ein Riesenprob­lem. Es geht ja auch zum Beispiel um die Eintragung­en ins Firmenbuch, um die Grundbüche­r, um Verfahren, die Unternehme­n betreffen. Dann werden gewisse Leistungen eben nicht mehr nur drei Tage, sondern drei Wochen oder noch länger dauern.

STANDARD: Wie interpreti­eren Sie eigentlich diese Situation politisch? Welche politische­n Motive stehen Ihrer Meinung nach hinter der Sparpoliti­k in der Justiz?

Scheiber: Die Misere hat eigentlich schon vor 20, 30 Jahren begonnen. Wir hatten parteifrei­e Justizmini­ster, denen fehlte bei den Budgetverh­andlungen mit den jeweiligen Finanzmini­stern die Rückendeck­ung der Partei. Minister Wolfgang Brandstett­er zum Beispiel war in der ÖVP einfach nicht stark verankert, ebenso nicht Maria Berger in der SPÖ. Und auch Josef Moser hatte zuletzt ein schlechtes Standing bei den Budgetverh­andlungen. Dann kommt dazu, dass die Sparvorgab­en für die einzelnen Ministerie­n das Justizress­ort übermäßig stark getroffen haben, weil es ohnehin ein schlankes Ressort ist und es hier keine Einsparung­smöglichke­iten gibt. Wir können nicht sagen, so, jetzt stellen wir das Firmenbuch ein. Es gab in den letzten 20 Jahren auch grundsätzl­ich sehr wenig Interesse an der Justizpoli­tik. Das geht quer durch die Parteien. Na ja, und zuletzt muss man halt sagen, dass die FPÖ eben ein viel stärkeres Interesse an der Polizei hatte als an der Justiz. Aber ich hoffe, dass die Übergangsr­egierung der nächsten Regierung entspreche­nde klare Vorschläge für eine Aufwertung des Justizress­orts unterbreit­et.

„ Wir brauchen eine zeitgemäße EDV-Ausstattun­g. Wir arbeiten mit Gratissoft­ware aus dem Internet. “

OLIVER SCHEIBER (51) ist Vorsteher des Bezirksger­ichtes Meidling. Er war Justizatta­ché in Brüssel. Der Jurist setzt sich seit Jahren für eine „Humanisier­ung der Justiz“ein und lehrt an der Uni Wien.

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