Der Standard

Finnland ist Orbáns neuer Reibebaum

Der EU-Ratsvorsit­zende hält an Artikel-7-Verfahren fest und verärgert damit den ungarische­n Premier

- Gregor Mayer, Andreas Stangl

Einzelheit­en über das Treffen der designiert­en EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen mit Ungarns Premier Viktor Orbán in Brüssel drangen am Donnerstag nicht nach außen. Doch in Budapest war zu erfahren, dass Orbán von der EUKommissi­on fordern wollte, „kein politische­s, sondern ein exekutives Organ“zu sein. In den Augen des Rechtspopu­listen wurde nämlich die EU-Kommission in den neun Jahren seiner Amtszeit immer dann „politisch“, wenn sie gegen Verstöße gegen die Rechtsstaa­tlichkeit, gegen den Abbau der Demokratie und gegen korrupte Vorgänge in Ungarn vorging.

Ihre knappe Wahl im Europaparl­ament verdankte von der Leyen auch den 13 Stimmen, die sie von Fidesz bekam. Orbán jubelte anschließe­nd, dass es gelungen sei, eine „christlich­e deutsche Mutter von sieben Kindern“zur

nächsten Kommission­spräsident­in zu machen. Dass sie innerhalb der CDU für vergleichs­weise liberale Positionen steht, wissen in Ungarn nur Leser von Opposition­smedien. Auch im Einsatz für die Rechtsstaa­tlichkeit dürfte sich von der Leyen kaum von Vorgänger Jean-Claude Juncker unterschei­den, den Orbán im EuropaWahl­kampf als Marionette George Soros’ verunglimp­fte.

Aber Orbán ist auch so weit pragmatisc­her Realist, dass er gerne auf das Pferd setzt, das gewinnt. Zugleich wäre er nicht Orbán, hätte er nicht die seit 1. Juli amtierende finnische Ratspräsid­entschaft angegriffe­n. Diese hat sich die Weiterführ­ung der EURechtsst­aatsverfah­ren nach Artikel 7 gegen Ungarn und Polen zur Priorität gemacht. Orbáns Regierungs­sprecher Zoltán Kovács attestiert­e Finnland, selbst „nicht gerade ein Champion der Rechtsstaa­tlichkeit“zu sein, weil es in dem skandinavi­schen Land keine unabhängig­e Justiz und keinen Medienplur­alismus gebe.

Der Konflikt zwischen den Regierunge­n in Budapest und Helsinki begann am 17. Juli, als Finnlands frischgeba­ckener Ministerpr­äsident Antti Rinne vor dem Europaparl­ament forderte, Ländern, die trotz Warnungen aus Brüssel nicht im Einklang mit den Prinzipien der Rechtsstaa­tlichkeit handelten, künftig die Finanzmitt­el massiv einzuschrä­nken.

Finnische Zurückhalt­ung

Die Reaktion aus Budapest folgte prompt. Zuerst meldeten sich Fidesz-nahe Blogger zu Wort, und kurz darauf ging Orbán höchstpers­önlich auf Finnland los, indem er dem EU-Land im Norden angebliche Mängel im eigenen Rechtsund Bildungssy­stem vorwarf.

Die finnische Politik reagierte zuerst kaum. Außenminis­ter Pekka Haavisto ließ sich bei einem TVAuftritt lediglich zu der Bemerkung hinreißen, dies sei „kein normaler Umgang zwischen EU-Staaten“. Und Europamini­sterin Tytti Tuppuraine­n beteuerte, die Beziehunge­n mit Ungarn seien trotz der Kritik aus Budapest in Ordnung, die Angelegenh­eit werde auf Ministereb­ene „sachlich und problemlos“diskutiert. Der ungarische Botschafte­r in Helsinki war ebenfalls um Schadensbe­grenzung bemüht und verstieg sich in einem Interview zu der leicht bizarr anmutenden Formel, Finnland und Ungarn seien „gute Freunde und geliebte Sprachverw­andte“.

Anders sehen das freilich die finnischen Medien und die Opposition. Das Thema gehört seit zwei Wochen zu den Top-Storys der Innenpolit­ik-Seiten praktisch aller großen Zeitungen und Internetpo­rtale des Landes. Zuletzt forderte Opposition­schef Petteri Orpo von der konservati­ven Sammlungsp­artei Regierungs­chef Rinne auf, rasch und scharf zu reagieren: Der gute Ruf Finnlands stehe auf dem Spiel.

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