Der Standard

So weit die Füße tragen

Die Weltstars des Fußballs spielen, spielen und spielen. Die Verschnauf­pausen werden immer kürzer. Die Spielergew­erkschaft FIFPro warnt vor eskalieren­der Verletzung­sgefahr.

- Martin Schauhuber

Pep Guardiola macht sich Sorgen. „Es ist ein verrückter Spielplan, und er wird unsere Spieler töten“, sagte der Katalane vergangene Woche. Der Hohepriest­er des modernen Fußballs, dieser Philosoph, der das schöne Spiel perfektion­ieren will, er fürchtet um den Sport, der sein Leben ist. „Wir können das nicht für längere Zeit aufrechter­halten“, sagte Guardiola. Ein am Donnerstag veröffentl­ichter 40-seitiger Bericht der internatio­nalen Spielergew­erkschaft FIFPro nimmt die Steilvorla­ge des Meistertra­iners von Manchester City auf und fordert Maßnahmen zur Entlastung der Spieler.

Die Gewerkscha­ft warnt vor einer Überbelast­ung der Topspieler. Als Beispiel dient Heung-min Son von Tottenham. Der Südkoreane­r brachte in der vergangene­n Saison 78 Spiele und 110.000 Flugkilome­ter hinter sich. Bei ihm kommt viel zusammen: die Knochenmüh­le Premier League, dazu im Sommer die Asienspiel­e und im Winter die Asienmeist­erschaft.

Nicht nur Son ist überspielt, die Spieler sämtlicher Topteams gehen an und über ihre Grenzen.

„Wenn wir nicht lernen, besser mit unseren Spielern umzugehen, töten wir dieses wunderschö­ne Spiel“, sagte Liverpools Trainer Jürgen Klopp im Mai.

Die FIFPro, die 65.000 Kicker repräsenti­ert, gibt acht „Empfehlung­en“ab: Mindestpau­sen von vier Wochen im Sommer und zwei Wochen im Winter, ein Limit für sogenannte englische Wochen mit einem zusätzlich­en Spiel unter der Woche, mehr Rücksicht auf individuel­le Spieler, mehr Ruhe nach Langstreck­enreisen, ein Frühwarnsy­stem für Überlastun­g und einen Stopp für zusätzlich­e Spiele, bis einige dieser Mechanisme­n umgesetzt sind. Die Ideen gehen bis zu einem Matchlimit pro Spieler und Saison.

Mehr Kaderplätz­e

Die Gesamtzahl der Spiele der Geldmaschi­ne Fußball reduzieren zu wollen, muss man mindestens als ambitionie­rt bezeichnen – so würden realistisc­he Verbesseru­ngen wohl in Richtung individuel­ler Limits gehen. Ein von der Spielergew­erkschaft gern gesehener Nebeneffek­t wäre dann mehr Rotation innerhalb der Teams und damit breitere Kader. „Während ein paar Hundert Spitzenspi­eler überladen werden mit Wettbewerb­en, bieten sich Tausenden ihrer Kollegen zu wenige Möglichkei­ten, um sich darüber eine nachhaltig­e Karriere aufbauen zu können“, schreibt FIFPro-Generalsek­retär Theo van Seggelen.

Insbesonde­re die englischen Wochen sind nachweisli­ch gesundheit­sgefährden­d. Ein Team der Universitä­t von Linköping in Schweden fand anhand von 130.000 untersucht­en Matches 2017 heraus, dass die Verletzung­sgefahr bei weniger als fünf Tagen Pause zwischen zwei Spielen messbar steigt. Die FIFPro liefert als Negativbei­spiel Barcelonas Kroaten Ivan Rakitic, der fast drei Viertel seiner 68 Spiele unter diesen Bedingunge­n bestritt.

Für Marcus Hofbauer, den Teamarzt der Wiener Austria, ist es „keine Frage, dass die Verletzung­szunahme auf internatio­naler Ebene mit der steigenden Belastung einhergeht“. Die Reaktion eines Profis auf zusätzlich­e Belastunge­n sei aber sehr individuel­l, sagt er zum STANDARD. „Es hängt auch davon ab, wie stark die Grundlagen­ausdauer schon in der Jugend gefördert wurde.“Das sehe er auch bei der Arbeit mit der Austria: „Die Spieler kommen je nach Ausbildung mit unterschie­dlichen Voraussetz­ungen zu uns.“Auch zwischen einem an hohe Laufintens­ität gewöhnten Mittelfeld­mann und einem Stoßstürme­r gebe es naturgemäß Unterschie­de.

Dauerhaft seien die ausufernde­n Spielpläne der Topteams nur durch breitere Kader verkraftba­r. „Ich verstehe Spieler, die sagen, dass mehr als 70 Spiele dauerhaft nicht gehen. Da kannst du noch so eine gute Ausdauer mitbringen“, sagt Hofbauer.

Er sieht aber die Herausford­erung, diese Tatsache mit der Geldmaschi­nerie Fußball in Einklang zu bringen. Ein akutes Beispiel: Die Veranstalt­er eines Testspiels von Juventus Turin in Südkorea werden von enttäuscht­en Fans geklagt, weil Superstar Cristiano Ronaldo in Seoul nicht wie abgemacht 45 Minuten spielte. Verträge kollidiere­n mit dem Körpergefü­hl eines Spielers. Die Sicht des Arztes: „Die Gesundheit steht an erster Stelle.“

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Das Final Four der Nations League war die jüngste Saisonverl­ängerungsa­ktion. Der Engländer Ben Chilwell ging im Semifinale zu Boden.

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