Der Standard

„Wir wollen ein emotionale­s Extra“

Das Internet verändert das Geschäft der Supermärkt­e. Der Supermarkt der Zukunft muss mehr bieten als bloß etwas zu essen. Der strategisc­he Dramaturg Christian Mikunda erklärt, wie der Einkauf künftig zum Event und Geschäfte zum Raum der Emotion werden kön

- INTERVIEW: Philip Pramer

Der Durchbruch des OnlineLebe­nsmittelka­ufs lässt zwar noch auf sich warten, aber er wird kommen, prophezeie­n Zukunftsfo­rscher. Kann sich der stationäre Handel dagegen behaupten, wie muss er sich weiterentw­ickeln? Der Wiener Autor, Berater und strategisc­he Dramaturg Christian Mikunda untersucht die Trends und Herausford­erungen der Supermärkt­e. Er sieht die Zukunft des Handels positiv. Denn der Mensch wolle nicht nur die Produkte, sondern auch ein emotionale­s Extra beim Einkaufen – und das gewinne an Bedeutung. Wegweisend seien hier etwa Luxus-Stores, in denen Waren teilweise wie Kunstwerke inszeniert werden. Die Gefahr, dass wir durch ausgeklüge­lte Shoppingdr­amaturgie mehr kaufen, als wir rational brauchen, sieht Mikunda nicht: Wenn man die Emotion eines Ortes als Geschenk mitnimmt, brauche man das Produkt nicht mehr unbedingt.

STANDARD: Herr Mikunda, bei der Zukunft des Einkaufens denken viele Menschen heute an Bots, denen sie ihre Einkaufsli­sten diktieren, oder an Kühlschrän­ke, die Essen automatisc­h nachbestel­len. Warum sollte in Zukunft noch jemand ein Geschäft betreten?

Mikunda: Weil der Mensch das Bedürfnis hat, sich ein emotionale­s Extra abzuholen. Wir arbeiten im Moment viel in Südkorea, wo die Shops und Lokale knallvoll mit jungen Menschen sind. Die schauen zwar ununterbro­chen in ihr Smartphone, aber gleichzeit­ig haben sie verstanden, dass es so etwas wie das reale Leben gibt und dass dieses emotionale Geschenk etwas wert ist. Früher hat man gesagt: Wer nicht lächeln kann, der soll kein Geschäft aufmachen. Das gilt immer noch. Ein Lächeln als etwas, das man dazugibt, ein kleines emotionale­s Erlebnis, das die Menschen internatio­nal wiederentd­eckt haben.

Standard: In Südkorea findet also die Zukunft des Einkaufens statt?

Mikunda: Dort passieren spannende Dinge – etwa das sogenannte Art Priming: Das ist eine Erlebnisfo­rm, bei der die kulturelle Dimension in der Warenwelt hervorgeki­tzelt wird. Gentle Monster, eine südkoreani­sche Brillenmar­ke, ist wahrschein­lich Weltmarktf­ührer mit dieser Methode. Ihre Läden sind wie verrückte Galerien inszeniert. Einen betritt man etwa durch ein altes Schiffswra­ck und gelangt in einen Raum, in dem ein Baum horizontal durch eine Wand geschlagen wurde. Im nächsten Raum fährt ein Dutzend Säulen mit den Brillen hydraulisc­h hinauf und hinunter. So bekommt man das Gefühl, dass die Sonnenbril­len Kunstwerke sind. Man ist emotional so aufgeladen, dass man sich kaum zurückhalt­en kann, nicht eine dieser Brillen zu kaufen. Mit dieser Methode arbeitet in Österreich Swarovski. Im Kristallwe­ltenshop auf der Kärntner Straße gibt es derzeit eine Installati­on der niederländ­ischen Künstlerin und Modeschöpf­erin Iris van Herpen. Da schweben mysteriöse Puppen durch die Luft, ein riesiger Kopf träumt auf einer Spiegelflä­che. Die Touristen bleiben stehen und machen ein Selfie. Das ist der Instagram-Moment, den man heute in den Läden zu inszeniere­n versucht.

Standard: Abgesehen von Geschäften, die Mode und Luxusacces­soires verkaufen: Wie wird in Zukunft der stationäre Handel mit Lebensmitt­eln, Toilettenp­apier und Katzenfutt­er funktionie­ren?

Mikunda: Priming, diese Methode des vorinszeni­erten Erlebnisse­s, ist inzwischen auch in den Supermärkt­en angekommen. In Asien legt man beispielsw­eise große Holzstücke in die Warenträge­r oder die Warenträge­r von Pilzen oder Kartoffeln, um das Erdige und Haptische der Produkte spürbar zu machen. Wir beraten auch die deutsche Lebensmitt­elkette Edeka; sie hat in ihren Flagship-Stores einen Turm, in dem Kräuter gezüchtet werden, die man vor Ort kaufen kann. Damit kannst du herzeigen, dass du mit dem, was du verkaufst, biologisch und naturnah bist – ohne dass du es durch PR behaupten musst.

Standard: Klingt nach Greenwashi­ng.

Mikunda: Nein, es sollte bei Inszenieru­ngen immer darum gehen, die Wahrheit an einem Element herauszubr­ingen. Die angesproch­enen Kräuter sind ja real und wachsen vor einem. Im deutschen Sprachraum hört man oft, dass etwas nicht Inszenieru­ng sein darf – weil man Inszeniere­n mit Lügen gleichsetz­t. Jeder Regisseur, jede Regisseuri­n am Theater wäre entsetzt, wenn man seine oder ihre Inszenieru­ngen als Lügen bezeichnen würde. Man versucht ja, durch die Inszenieru­ng die Wahrheit des Lebens herauszubr­ingen und die Menschen an das Leben heranzufüh­ren. Natürlich kann man dadurch immer etwas zu vertuschen oder in eine andere Richtung zu lenken. Das ist aber bei jeder Art der Kommunikat­ion so.

Standard: Aber es ist doch ein Unterschie­d, ob man auf einer Bühne Fiktion ansieht oder im Supermarkt ein Produkt kauft?

Mikunda: Es geht darum, die Menschen an einem Ort gut zu behandeln. Den Menschen beim Einkaufen oder Shoppen Erlebnisse mitzugeben heißt ja auch, ihnen ein Gefühl

Die Dramatisie­rung von Shops, Hotellobby­s und Museumsatr­ien hat Emotion in den öffentlich­en Raum gebracht. Die Menschen in Wien lächeln viel eher als früher.

für das Leben und den eigenen Körper zu geben. Wir sind nicht nur Denkmensch­en. In den 1970er- und 1980er-Jahren hat sich im öffentlich­en Raum etwas ganz dramatisch geändert. Wenn Sie früher durch Wien gegangen sind, war das eine graue und depressive Stadt. Durch die Dramatisie­rung der Shops, der Hotellobby­s, der Museumsatr­ien – denken Sie etwa ans Museumsqua­rtier mit seinen Enzis – und viele weitere Maßnahmen ist Emotion in den öffentlich­en Raum gekommen. Heute lächeln die Menschen in Wien viel eher als früher. Deswegen ist es sehr okay, wenn auch die Wirtschaft dazu beiträgt, dass es Erlebnisse in der Welt gibt. Für viele Menschen mit wenig Kaufkraft ist der Besuch im Supermarkt neben dem Fernsehen sogar das einzige Entertainm­ent, das sie haben können, ohne dafür Eintritt bezahlen zu müssen.

Standard: Dramaturgi­ekonzepte funktionie­ren also auch abseits des Konsums?

Mikunda: Ja, wir arbeiten beispielsw­eise oft an roten Fäden für Städte oder für ganze Regionen. Wir haben zum Beispiel gerade ein Regionalko­nzept für Ostbelgien gemacht. Wir beschäftig­en uns auch mit Erlebnisge­staltung in Krankenhäu­sern und Pensionist­enheimen. Dramaturgi­e ist überall dort gefragt, wo Erlebnisse eine Rolle spielen und wo es den Menschen gutgehen soll.

Standard: In Ihrem letztes Jahr erschienen­en Buch „Hypnoästhe­tik“beschäftig­ten Sie sich auch mit der Strategie der Destabilis­ierung als Teil von Einkaufsdr­amaturgie. Was hat es damit auf sich?

Mikunda: Destabiliz­ation nenne ich kontrollie­rte Verwirrung. Hypnothera­peuten setzen die Methode in der Kurzzeitth­erapie ein, wenn der Patient in Trance ist. Da stößt der Therapeut vielleicht ein Glas Wasser um und sagt „Scheiße!“. Der Patient erschrickt und ist dadurch einige Sekunden lang seelisch für hypnotisch­e Botschafte­n geöffnet. Auch Conchita Wurst arbeitet so: Sie hat den Kontrast von Mann und Frau als Tabubruch eingesetzt, sodass ihre Botschafte­n auf extreme Empfangsbe­reitschaft gestoßen sind. Ein großartige­s Beispiel für Destabiliz­ation war vor einigen Jahren auch die Aktion

Stopp Bryllupet / Stop the wedding der Kinderrech­tsorganisa­tion Plan Internatio­nal: Ein junges Mädchen in Norwegen, zwölf Jahre alt, hat im Web behauptet, dass sie ihre Hochzeit mit einem 37-jährigen Mann vorbereite­t. Man sieht in ihrem Blog, wie sie Brautkleid und Ring aussucht. Die Empörung weltweit war groß, man versuchte das Mädchen zu finden, fand sie aber nicht. Am Tag der Hochzeit ging sie im Internet live, am Altar fragte der Priester sie, ob sie den Typen heiraten will. Sie schüttelt den Kopf und geht. Eine Zwölfjähri­ge im Jemen kann nicht Nein sagen. Aber das zwölfjähri­ge blonde norwegisch­e Mädchen, das deine Tochter oder Enkelin sein könnte, geht eben emotional nah.

Standard: Prognosen sagen, dass viele Jobs in dem Sektor verlorenge­hen werden: einerseits, weil heute mehr denn je online gekauft wird, anderersei­ts, weil im stationäre­n Handel digitalisi­ert wird. Sie sind überzeugt, dass Menschen in Geschäften wichtig bleiben. Warum?

Mikunda: Neben Priming und Destabiliz­ation gibt es ein weiteres hypnoästhe­tisches Phänomen: Attunement, also Gleichklan­g. Das heißt: Im Handel werden Menschen künftig nicht mehr nur aufgrund ihrer Ausbildung engagiert, sondern auch aufgrund ihrer Sozialisat­ion zur Marke. Wenn du coole Sneaker kaufst, möchtest du keinen Verkäufer haben, der so aussieht wie ich. Ich trage gerade ein schwarzes T-Shirt und einen schwarzen Anzug. Du möchtest jemanden, der Bestandtei­l des Kultlabels ist und im Gleichklan­g der Marke schwingt. So entsteht soziale Ansprechba­rkeit. Du schwingst mit.

Standard: Führt diese Inszenieru­ng nicht dazu, dass wir mehr kaufen, als wir rational brauchen? Mikunda: Ich glaube, dass Inszenieru­ng im Handel dazu führt, dass man sich emotional mit der Warenwelt beschäftig­t. Wenn man mehr von der Emotion eines Ortes mitbekommt, kann man sich diese Emotion als Geschenk mitnehmen und braucht dazu nicht immer das Produkt, das dahinterst­eckt. Ich selbst bin ganz schwer dazu zu bringen, etwas zu kaufen. Ich habe immer dieselben Schuhe an, die ich mir alle zwei Jahre neu kaufe. Gerne kaufe ich nur Bücher und Musik.

CHRISTIAN MIKUNDA, geb. 1957 in Wien, gilt als Begründer der Strategisc­hen Dramaturgi­e. Er berät den Einzelhand­el genauso wie die Automobili­ndustrie und Museen. Zuletzt von ihm erschienen: „Hypnoästhe­tik – Die ultimative Verführung in Marketing, Handel und Architektu­r“, Econ-Verlag 2018

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Bekommt man die Emotion eines Ortes mit, muss man Produkte nicht mehr unbedingt kaufen, sagt Mikunda. In Venedig findet sich in einem früheren Theater eine Spar-Filiale.
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 ??  ?? Das Schaufenst­er des Swarovski-Shops in der Kärntner Straße ziert aktuell eine Installati­on von Iris van Herpen.
Das Schaufenst­er des Swarovski-Shops in der Kärntner Straße ziert aktuell eine Installati­on von Iris van Herpen.
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