Der Standard

Gefährlich­es Sparverspr­echen

Die Justiz bietet ein aktuelles Beispiel, welche Auswirkung­en Personalab­bau hat

- Michael Möseneder vor einer Überlastun­g der Anklagebeh­örden gewarnt, rechtzeiti­g um mehr Personal hat sich niemand gekümmert. Die Folgen damals wie heute: Die Personalfl­uktuation steigt, was die Probleme verschlimm­ert. Keine Frage: Natürlich gibt es auch

Im System sparen“und „den Staat wie ein Unternehme­n führen“sind beliebte Stehsätze vornehmlic­h konservati­ver Politikeri­nnen und Politiker, die bei Teilen der Wählerscha­ft mit Genugtuung aufgenomme­n werden. „Ja, genau! Das faule Beamtenpac­k, das den ganzen Tag nur Däumchen dreht, wenn es nicht mit bürokratis­chen Schikanen nervt! Warum sollen wie die mit unseren Steuern durchfütte­rn?“, könnte man deren Ansichten zusammenfa­ssen. Das Problem dabei: Ein Staat lässt sich nicht wie ein Unternehme­n führen, und wenn im System gespart wird, leiden fast immer die Menschen darunter.

Aktuelles Beispiel ist die Situation in der Justiz. Das Ressort ist zwar das einzige, das sich aufgrund der Strafen und Gebühren selbst finanziert, dennoch wurde die Personalsc­hraube seit Jahren immer heftiger angezogen. Die Folgen sind im Alltag spürbar: Wer beispielsw­eise einen Untersuchu­ngshäftlin­g in der Wiener Justizanst­alt Josefstadt besuchen will, hat weniger Zeit, sich eine entspreche­nde Erlaubnis im Servicecen­ter des Landesgeri­chts für Strafsache­n zu besorgen, da die Öffnungsze­iten reduziert wurden.

In den Kanzleien stapeln sich die Aktenberge. Für die rund 7200 Strafverfa­hren, die im Grauen Haus jährlich verhandelt werden, ist es schwierig, Schriftfüh­rerinnen und Schriftfüh­rer zu bekommen. 3000 Telefonkon­takte hat die Zentrale täglich, wer dann bei einem Anruf in der Warteschle­ife hängt, merkt, dass „das System“auch ihn betrifft. An den Bezirksger­ichten, mit denen die Bevölkerun­g üblicherwe­ise eher in Kontakt kommt, da dort auch Grundbuche­intragunge­n, Scheidunge­n und Erbschafte­n behandelt werden, ist die Situation nicht besser.

Nun gut, könnte man sagen, wenn der Staat sparen muss, müssen halt die Beamten ein wenig mehr arbeiten und die Bürger ein wenig länger warten. Das ist aber gerade im Justizwese­n eine heikle Rechnung, denn das Vertrauen in eine funktionie­rende Rechtsprec­hung ist eine der wesentlich­en Säulen des Gemeinwese­ns. Und es geht längst nicht mehr um „ein wenig“: Ein langdienen­der Wiener Richter rechnet beispielsw­eise vor, dass er jährlich mehr als 200 Urteile schreibe anstelle der 150, die es laut internen Berechnung­en sein müssten.

Verbessern wird sich die Situation in nächster Zeit eher nicht – im Gegenteil. Denn wenn die Aufnahmewe­lle bei der Polizei netto zu mehr Polizistin­nen und Polizisten führt, ist absehbar, dass auch die Zahl der Anzeigen, die zunächst von den Staatsanwa­ltschaften und dann vielleicht von den Gerichten bearbeitet werden müssen, steigen wird. Interessan­terweise scheint den politische­n Entscheidu­ngsträgern dieser Zusammenha­ng nicht aufzufalle­n. Womit sich die Geschichte wiederholt: Vor der 2008 in Kraft getretenen Reform der Strafproze­ssordnung haben Insider wiederholt

Newspapers in German

Newspapers from Austria