Der Standard

Her mit dem Hard Brexit

- András Szigetvari

Der am meisten in Europa gefürchtet­e Blondschop­f ist seit vergangene­r Woche nicht mehr jener in Washington, sondern der in London. Boris Johnson schwört sein Land als frischgeba­ckener britischer Premier auf einen neuen Kurs ein. Ein Hard Brexit, also ein Austritt des Vereinigte­n Königreich­s aus der EU, ohne dass die gegenseiti­gen künftigen Beziehunge­n vertraglic­h geregelt sind, ist für Johnson kein Tabu. Im Gegenteil, er forciert sogar die Vorbereitu­ngen dafür.

Ob es dazu kommt, ist fraglich, dennoch ist für viele in Europa allein schon die Vorstellun­g erschrecke­nd. Experten warnen vor Chaos an den Grenzen, Ökonomen vor dramatisch­en wirtschaft­lichen Folgen. In Wahrheit bietet ein harter Brexit eine Chance für die verbleiben­den EU-Länder. Endlich würden die Versprechu­ngen der Nationalis­ten einem Wahrheitsb­eweis unterzogen werden.

Denn bisher ist erstaunlic­herweise genau das nirgends geschehen. In den vergangene­n Jahren ist zwar eine nationalis­tische Rechte, die auf Abschottun­g und Protektion­ismus setzt, in vielen Ländern erstarkt oder an die Macht gekommen. In den USA zählt Donald Trump zu diesem Schlag von Politikern, in Großbritan­nien Johnson, in Italien Matteo Salvini, in Ungarn Viktor Orbán.

Doch in keinem dieser Länder haben die Bürger bisher gespürt, welche Konsequenz­en der Nationalis­mus hat. Die Ursachen dafür sind vielfältig. In den USA hat Trump Zölle eingeführt, die Nachbarlän­der Mexiko und Kanada unter Druck gesetzt. Bis auf China bietet den Amerikaner­n aber niemand die Stirn. Aus Furcht vor einem Handelskri­eg haben die meisten Länder den Forderunge­n der USA nachgegebe­n. Die US-Bürger spüren also nicht, was Trumps Abschottun­g sie kosten könnte, würde es ihm der Rest der Welt gleichtun.

Ein anderes Beispiel betrifft Ungarn. Solange das Land EU-Mitglied ist, wissen ausländisc­he Investoren, dass sie geschützt sind. Die europäisch­en Verträge erlegen Orbán Grenzen auf. So kann er demokratis­che Institutio­nen untergrabe­n und über Vorzüge illiberale­r Werte labern – wirtschaft­lich hat das für Ungarn keine negativen Folgen. Wäre Ungarn nicht in der EU, würden Investoren wie Audi oder Mercedes dagegen aus Angst vor staatliche­n Eingriffen längst einen Bogen um das Land machen.

So ähnlich verhält es sich mit dem Brexit. Bisher vollzog er sich nur rhetorisch. Premier Johnson kann weiter das Blaue vom Himmel verspreche­n. Dabei sind sich Ökonomen einig, dass der Austritt der Briten ohne Deal für die Insel schmerzhaf­t wäre, während der Rest des Kontinents nur wenig leiden würde. Aber sogar wenn keine Rezession in Großbritan­nien ausbricht, werden die sozialen Herausford­erungen für das Land am Tag nach dem Exit nicht kleiner werden. Dabei haben die Brexiteers genau das versproche­n. Ein harter Brexit würde also die britischen Demagogen in jedem Fall entzaubern. Das würde liberalen Kräften in Europa Auftrieb geben.

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