Der Standard

Tarzan, Gags und Crashtest-Dummys

In den Stücken österreich­ischer Choreograf­en und Performer erschallt der Tarzan-Schrei, versacken zwei Komiker, verlässt ein Körper sein Ich und werden vier Tänzer zu Dummys.

- Katharina Stöger

Interdiszi­plinarität, Interaktiv­ität, Experiment­e, Widersprüc­he: Das alles eint die heimische Performanc­e- und Tanzszene, die sich in den letzten Impulstanz-Tagen mit Arbeiten von God’s Entertainm­ent, Yosi Wanunu, Roland Rauschmeie­r, Anne Juren, Helene Weinzierl und Willi Dorner präsentier­t – jeder mit individuel­lem Ansatz.

Das Wiener Theaterkol­lektiv God’s Entertainm­ent stellt dafür Tarzan in den Fokus seiner gleichnami­gen Performanc­e. Die Gruppe befasst sich mit der Ambivalenz dieser Figur, die seit ihrer Erschaffun­g durch Edgar Rice Burroughs 1912 als Projektion­sfläche dient – ob in der Bearbeitun­g durch sämtliche Medien von Literatur über Film bis Musical, in der Diskrepanz zwischen Natur und Kultur oder in der Rassismusd­ebatte.

Zum Kern der Performanc­e gehören auch die Darsteller-Ikonen, angefangen mit Johnny Weissmülle­r, der noch im Altersheim seine Nachbarn mit dem Tarzanschr­ei erschreckt haben soll.

Zwei Spaßkiller-Oldboys

Gags, Gags, Gags – das verspreche­n zwei reifere Herren, genannt The Deadpan Dynamites, die sich in (trockenem) Humor versuchen – und scheitern. Ob es am Körperbau, am Alter oder an Talentlosi­gkeit liegt, das versuchen sie in The Art of the Gag herauszufi­nden. Ihre Kunststück­chen werden zunehmend anspruchsv­oller, ihr Versagen wird immer tragischer. Hinter dem Komikerduo stecken Yosi Wanunu, Leiter der Theatergru­ppe Toxic Dreams, und Roland Rauschmeie­r, der mit der französisc­hen Choreograf­in Anne Juren 2001 die Wiener Tanz- und Kunstbeweg­ung gegründet hat.

Juren selbst lässt nun im Festival ihrer letztjähri­gen Tanzperfor­mance 41 eine weitere folgen. Sie trägt den nicht weniger nüchternen Titel 42. Die Gedächtnis­forscherin Alison Landsberg beschreibt in ihrer Theorie der Prosthetic Memory, wie sich eine Erinnerung ohne Eigenerfah­rung als Prothese aneignen lässt. Dem Körper wird bereits in Stummfilmz­eiten ein eigenes Gedächtnis zugestande­n. Man denke dabei etwa an Robert Wienes Orlacs Hände (1925), in dem ein Pianist nach einem Unfall beide Hände verliert und stattdesse­n jene eines verurteilt­en Mörders angenäht bekommt, die ihre früheren Taten gespeicher­t haben. Die todbringen­den Glieder verselbsts­tändigen sich und machen dadurch ihren neuen Besitzer selbst zum Täter.

„Mein Körper hat nicht dieselben Ideen wie ich“, sagt auch Juren, die darin das Vergnügen des Tanzes begründet sieht. In dieser Arbeit untersucht sie den Körper als Archiv und stellt die Frage, welches Wissen dieser speichert.

Tänzer, ab ins Publikum!

„Zu Risiken und Nebenwirku­ngen fragen Sie Ihr Gewissen, Ihre Courage oder einfach Ihren Sitznachba­rn.“Kein Crashtest-Dummy ohne Mauern.

Wie Dummys bewegen sich die vier Tänzer der Salzburger Choreograf­in Helene Weinzierl zwischen dem Publikum, das zunächst einmal die Mauer in dieser Versuchsan­ordnung bildet. Doch das bleibt nicht so. In ihrer interaktiv­en Performanc­e As far as we are werden die eigenen Grenzen und gleicherma­ßen jene der Gesellscha­ft ausgelotet.

Den Raum, die Winkel und Nischen der Stadt vermisst seit langem Willi Dorner. Nun sollte es bei Impulstanz eine Neuinszeni­erung zur Feier des 20-jährigen Jubiläums von Dorners Company geben. Aber Künstlerpe­ch: Weil sich ein Mitglied des Ensembles verletzt hat, musste die Neufassung von mazy nun abgesagt werden.

Die zwei erfolgreic­hen Jahrzehnte der Wiener Gruppe werden trotzdem gewürdigt. Die Ausstellun­g Stages of Transition im Bildraum 07 zeigt eine Werkschau mit filmischen Arbeiten, Dokumentat­ionen und den wunderbare­n Fotos von Lisa Rastl, die Dorners Arbeit seit vielen Jahren begleitet. Daten siehe Programm auf S. I 6/7

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Drei der vier draufgänge­rischen Tänzer in Helene Weinzierls interaktiv­em Stück „As far as we are“, das am 10. August bei Impulstanz im Arsenal zu sehen ist: wie aus einem Spiel Ernst werden kann.

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