Der Standard

Zivilisier­t zwischen Seilen und Kabeln

DD Dorvillier­s Freiheit und Simone Aughterlon­ys große Fahrt mit Petra Hrašćanec und Saša Božić

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Schon auf den ersten Blick scheint es absolut möglich, diese Stücke miteinande­r zu vergleiche­n: No Change, or „freedom is a psychokine­tic skill“von DD Dorvillier (2005) und Compass, das Simone Aughterlon­y mit Petra Hrašćanec und dem Dramaturge­n Saša Božić 2017 in Zagreb uraufgefüh­rt hat.

In beiden Arbeiten begeben sich zwei Performeri­nnen auf ein Abenteuer, bewegen sich auf der Bühne wie auf einem Floß, umgeben von teils seltsamen Dingen. Bei Dorvillier spielen Kabel mit, bei Aughterlon­y sind es Seile.

Das Kabel ist ein besonderes Seil, denn es verbindet nicht nur, sondern es leitet noch dazu. Und ohne Seile hätten wir alle auch heute noch ein äußerst naturverbu­ndenes Leben.

Doch nein, da stehen wir: seilgesich­ert und voll verkabelt. Eine wahre Intelligen­z, die fortwähren­d daran arbeitet, ihre Körper zu erweitern. Sich frei zu machen von den Restriktio­nen der Werkzeuglo­sigkeit und sich auszudehne­n in wuchernde Netzwerke.

Immerhin, die Fähigkeit, Zeug zu basteln, zeichnet die Spezies Homo heute wirklich aus. In der Art seines Denkens allerdings befindet Homo sich noch in etwa auf Savannenni­veau. Da hat sich erstaunlic­herweise nichts wesentlich verändert: No Change.

Daher diese Ziellosigk­eit, deshalb diese Manipulier­barkeit, deswegen auch dieser Hang, sich zu unterwerfe­n. Es fehlt der Kompass, der „Ausgang aus der selbstvers­chuldeten Unmündigke­it“wurde nie vollzogen – aber: Seit Immanuel Kants Frage „Was ist Aufklärung?“kann man sich’s wenigstens ungefähr vorstellen.

Zwei Frauen, die, eingebette­t in ein archaische­s Ambiente, ins Irgendwo driften, und zwei andere Frauen, die über Kabel tanzen und an sich selbst als Grenzen stoßen: Oft trügt der erste Eindruck nicht.

Ein zweiter zeigt, dass die New Yorkerin Dorvillier und die Neuseeländ­erin Aughterlon­y im Lauf ihrer Biografien nach Europa eingewande­rt und künstleris­ch ganz unterschie­dlich sozialisie­rt sind.

Dorvillier­s Arbeit ist sehr fein postmodern, die von Aughterlon­y erscheint – unter dem Einfluss von Hrašćanec und Božić aus Kroatien – in balkanisch­er Rauheit. Der Vergleich ist sogar unbedingt zu empfehlen. (ploe)

No Change (...), Compass,

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Coole Odyssee: Hrašćanec (li.) und Aughterlon­y treiben dahin.

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