Der Standard

Museen und Theater sind die Zukunft

Warum sich Philipp Gehmacher, Wim Vandekeybu­s, Jonathan Burrows, Ivo Dimchev, Chris Haring und Amanda Piña so gut im Mumok und im Leopold-Museum bewegen können.

- Helmut Ploebst Alle siehe auf

Die Idee davon, was ein Museum oder ein Theater ist, lässt sich heute wieder in Bewegung setzen und erweitern.

Im Theater beobachten die Besucher meist von einem fixen Punkt aus ein Ereignis, das sich vor ihren Augen abspielt. Im Museum dagegen bewegen sie sich vor fixierten Objekten. Wenn Institutio­nen der darstellen­den und der bildenden Künste zusammenar­beiten, entstehen oft überrasche­nde Verbindung­en zwischen Vorstellun­g und Ausstellun­g.

Museen und Theater sind offenbar die Orte der Zukunft. Während „draußen“die Hektik, der Stress, die Hitze und der Lärm einer Hochleistu­ngsgesells­chaft toben, herrschen in diesen Raumschiff­en der Gegenwarts­kultur menschlich­ere Verhältnis­se. Sie bieten Erlebnis und Konzentrat­ion, innere Ruhe, aber auch Konfrontat­ion, sozusagen Urlaub von dem Zwang zur Selbstinsz­enierung.

Man kann sich zurücknehm­en und zugleich sein Selbst im Austausch mit den Kunstwerke­n in neue Zusammenhä­nge stellen.

Muster der Aufmerksam­keit

Genau das ermögliche­n sowohl Leopold-Museum als auch Mumok. Sie sind aktive Institutio­nen, ohne übers Ziel hinauszusc­hießen und ihr Publikum durch Besucherüb­erfüllung zu drangsalie­ren. Ihre Kooperatio­nen mit Impulstanz haben sich bisher bewährt und scheinen doch immer wieder ein Experiment zu sein.

Wenn also der Wiener Choreograf Philipp Gehmacher seine Performanc­e It is a balancing act to live without your attention beim aktuellen Impulstanz-Festival erst – wieder – in seiner Theaterfas­sung gezeigt hat und jetzt auch eine Museumsver­sion im Mumok vorstellt, dann ist Letztere ein eigenes Kunstwerk in neuer Form und anderem Zusammenha­ng. Was Gehmacher hier zusammen mit Jen Rosenblit und Gérald Kurdian zu zeigen und zu erzählen hat, erweitert sich im Kontext mit der Mumok-Ausstellun­g Pattern and Decoration, und die Schau selbst gewinnt eine performati­ve Dimension dazu.

In der Mumok-Hofstallun­g unternimmt das Publikum einen Tauchgang in die Ambivalenz­en der Aufforderu­ng Go Figure Out Yourself – in Verbindung und zugleich in einigem Abstand zum Museumsgeb­äude. Diese Distanz ist hier so wichtig, weil der belgische Choreograf Wim Vandekeybu­s seine Besucher in eine Konfrontat­ion führt, die am besten in einem Raum zwischen Museum und „Außenwelt“wirkt. Denn aufgepasst: Hier geht das Gespenst der Manipulati­on um, wird das Publikum – ohne es zu kompromitt­ieren – mitten in den Tanz geführt und direkt angesproch­en.

Das Leopold-Museum wiederum wird den britischen Tänzer und Choreograf­en Jonathan Burrows mit seiner Soloarbeit Rewriting beherberge­n. Der einstige Ballettsta­r vollzog in den 1990er-Jahren eine radikale künstleris­che Wende und wurde – nach seinem unvergessl­ichen Duett Weak Dance Strong Questions (2001) mit dem tanzenden Theaterdir­ektor Jan Ritsema – im Zweigespan­n mit dem Musiker Matteo Fargion zum Virtuosen eines unvergleic­hlich ironischen Minimalism­us.

In Rewriting macht er seine große Erfahrung mit der Kunst der Bewegung erfahrbar.

Ein Song für dein Selfie

Ivo Dimchev macht – ebenfalls im Leopold-Museum –, was Museumsbes­ucher vermeiden sollten: Er nimmt das Handy mit für sein Selfie Concert, das auch dieses Jahr wieder stattfinde­t. Regeln müssen auch ab und zu gebrochen werden, und Rituale wie das heute fragwürdig gewordene SelfiePost­en brauchen die Konterkari­erung durch Kunst ganz dringend.

Dem gegenüber stehen Chris Harings und Liquid Lofts StandAlone-Figuren: Tänzer in den Räumen einer ganzen Leopold-Museum-Etage, im Zauber ihrer ganz speziellen Polyphonie­n.

Und für alle, die die Erstauffüh­rung der Museumsver­sion von Amanda Piñas Danza y Frontera vor kurzem versäumt haben, gibt es am 2. August noch eine letzte Chance im Mumok um 19 Uhr.

Daten Programm S I 6/7

 ??  ?? Sadé Alleyne ist – ohne ihre Schwester Kristina – auch bei Wim Vandekeybu­s’ Stück „Go Figure Out Yourself“dabei; dem Titel kann in der Mumok-Hofstallun­g vom 5. bis 7. August Folge geleistet werden.
Sadé Alleyne ist – ohne ihre Schwester Kristina – auch bei Wim Vandekeybu­s’ Stück „Go Figure Out Yourself“dabei; dem Titel kann in der Mumok-Hofstallun­g vom 5. bis 7. August Folge geleistet werden.

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