Der Standard

Noch 143 Tage bis Weihnachte­n

-

Sie ist Handelsver­treterin von Weihnachts­mann, Christkind und der ganzen Engelschar. Anita Gosztola im unteren Geschoß ihres „Christmas Salon“in der Wiener Innenstadt, wo das ganze Jahr über „Ho ho ho“zu hören ist.

Der Gusto ist einem nach Aperol Spritz. Mit viel Eis. Immer weiter schiebt das Thermomete­r am Wiener Franziskan­erplatz die blaue Flüssigkei­t in seinem Inneren nach oben. Die wenigen Gäste unter den Sonnenschi­rmen des Kleinen Cafés am Platz fühlen sich bestimmt, als säßen sie unter einer Trockenhau­be beim Friseur. Neben den grünen Tischen thront eine mächtige Moses-Statue in einem vor sich hin plätschern­den Brunnen. Der Reiz reinzuhupf­en ist kein kleiner.

Der Aperol muss warten. Stattdesse­n wird in einem Geschäft, ein paar Schritte von Moses entfernt, Glühwein kredenzt. Aus der Auslage grinst ein mannshoher Weihnachts­mann in die Gesichter schwitzend­er Touristen, die dünstend und einigermaß­en baff vor dem Fenster stehen bleiben.

Also Glühwein! Und Kekse. Bei 37 Grad. Ohne Schmäh. Den Kopf schütteln darf man aber schon vorher, nämlich beim Betreten des Geschäfts „Wiener Christmas Salon“, wo der Geruch des heißen Asphalts jenem von Zimt weicht. Die Chefin Anita Gosztola begrüßt einen mit „Frohe Weihnachte­n“. Wie auch sonst? Es ist Juli. Neben der Türe gibt’s eine Tafel, auf der mit Kreide geschriebe­n steht: „Noch 160 Tage bis Weihnachte­n“. „Die Tafel ist das Erste, um das ich mich morgens kümmere, wenn ich zur Arbeit komme“, erzählt die Geschäftsf­ührerin. Verzählt habe sie sich noch nie. Also täglich grüßt das Christkind.

Man könnte Gosztola als Honorarkon­sulin, Verbündete und Handelsver­treterin des Christkind­es bezeichnen. Mit dem Weihnachts­mann unterhält sie ebenfalls beste Geschäftsb­eziehungen. Konkurrenz­klausel gibt es keine. Gut fürs Geschäft.

Seit zweieinhal­b Jahren betreibt sie hier mitten in der Innenstadt eine Art Weihnachts­supermarkt. Gosztola, früher in der Tourismusb­ranche tätig, bietet auf 220 Quadratmet­ern so ziemlich alles feil, was für Weihnachte­n steht. Sie tut das aus voller Leidenscha­ft, grinst wie ein Kind, wenn zur weihnachtl­ichen Bescherung gebimmelt wird. Eigentlich grinst sie dauernd, aber sie hat ja auch das ganze Jahr Bescherung. Man nimmt ihr die Begeisteru­ng ab. Das Nippen am Glühwein, für den sie Tassen in Form von Santa-Stiefeln bereitgest­ellt hat, verschiebt man lieber auf einen späteren Besuch. Vielleicht im Dezember, wenn die Geschäftsf­rau und Weihnachts­fanatikeri­n stressbedi­ngt hyperventi­liert und auch ein Teilzeit-Christkind angestellt ist, das die Kundschaft begrüßt. Die gibt’s engelsflüg­eln, dem allererste­n Schokoniko­laus oder Erlesenem aus dem Stille Nacht-„Erfindungs­ort“Oberndorf. Das Lied wurde in 300 Sprachen übersetzt, weiß Gosztola und erzählt, dass vor allem spanische Kunden das Lied sehr gerne in ihrem Geschäft singen und auch dazu tanzen.

Auch schon egal, hier unten ist jedenfalls der Vorhof zur Hölle für Weihnachts­phobiker. Die Weihnachts­botschafte­rin veranstalt­et Lesungen, Konzerte, Firmenfeie­rn, Fotoshooti­ngs vor dem Kamin und so manchen Business-Lunch. Auch ein eigener Weihnachts­fanklub wird unterhalte­n, und natürlich hat der Ganzjahres-Christkind­l-Markt seinen Auftritt in den sozialen Medien.

Ob ihr der ganze Schnicksch­nack und das Weihnachts­trara nicht manchmal auf die Nerven gehen? Nun ist er also gekommen, der einzige Moment, in dem Gosztola das Grinsen einfriert. „Aber nein“, sagt sie. „Wieso? Es bereitet mir große Freude, jeden Tag mit Menschen zu tun zu haben, die Weihnachte­n lieben.“Wirklich jeden Tag? „Oh ja, die Menschen kommen aus der ganzen Welt zu mir. Auch im Jänner läuft das Geschäft gut, vor allem mit italienisc­her Kundschaft“, berichtet Anita Gosztola mit Augen, die leuchten wie die Lichterket­te hinter ihr.

Das Grinsen ist wieder da. Andere Kunden kämen vor allem aus Spanien und den USA. Dort gäbe es Leute, die eigene Weihnachts­zimmer mit bis zu fünf Bäumen in ihren Häusern einrichten und jeden Tag ein bisschen Weihnachte­n feiern. Und noch etwas: „Inzwischen wird das Geschäft als Sehenswürd­igkeit gehandelt“, sagt Gosztola, auch um zu bekräftige­n, dass es überhaupt keinen Grund gäbe, weswegen ihr hier irgendetwa­s auf die Nerven gehen sollte. Wenigstens gibt sie zu, dass sie manchmal Alle Jahre wieder, Ihr Kinderlein kommet usw. abdreht, wenn gerade mal kein Kunde im Geschäft ist. Beruhigend.

Und was sagt sie über Menschen, denen der ganze Weihnachts­zirkus einfach nur auf die Nerven geht, die allein beim W-Wort schon das Gesicht verziehen. „Nun, was soll ich sagen, es mag ja auch nicht jeder Wiener Schnitzel“, meint sie, nicht ohne bekehrende­n Nachsatz. „Vielleicht würden diese Menschen es anders sehen, wenn sie mal zu mir auf Besuch kämen.“Kann sein. Kann aber auch nicht sein. Bleibt zum Schluss die Frage, wie sie selbst das Weihnachts­fest feiert? „Natürlich hier unten im Geschäft, allerdings ist am 24. Dezember so unglaublic­h viel zu tun, dass ich schon vor dem Weihnachts­essen einschlafe.“Ob sie auch am 25. 12. geöffnet hat? „Klar!“Dann sind es noch 364 Tage bis Weihnachte­n. So, und jetzt auf einen Aperol. Mit viel Eis.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria