Der Standard

„Manchmal Optimist“

Karl Schwarzenb­erg, ein nicht unwichtige­r Akteur der „Wende“in Osteuropa, zieht 30 Jahre danach Bilanz und zeigt sich trotz autoritäre­r Tendenzen pragmatisc­h: „Immer noch besser als unter dem Kommunismu­s.“

- INTERVIEW: Hans Rauscher

Karel (Karl) Schwarzenb­erg, geboren 1937 in Prag, stammt aus einem alten böhmisch-österreich­ischen Adelsgesch­lecht. Ab den 80er-Jahren engagierte er sich privat und in der Helsinki-Föderation für die Demokratie­bewegung in Osteuropa. Nach dem Umsturz in der ČSSR wurde er Kanzler des tschechisc­hen Präsidente­n Václav Havel, dann Senator, später zweimal tschechisc­her Außenminis­ter und Gründer einer liberalen Partei.

STANDARD: Vor 30 Jahren, im Sommer 1989, hat um diese Zeit in Osteuropa gerade noch der Kommunismu­s geherrscht.

Schwarzenb­erg: In Polen schon praktisch nicht mehr. Ich habe mich mit Lech Walesa getroffen, das war damals eigentlich ein freies Land. Ungarn war im Umbruch, aber Polen war wirklich schon frei. Da war das Match schon entschiede­n.

STANDARD: In der ČSSR herrschte noch Stalinismu­s. Dann die große Freiheit – und was haben wir jetzt?

Schwarzenb­erg: Einen Mist. Was mich beunruhigt, ist das Oligarchen­wesen, das sich einfach das Land aneignet. Die Faschisten sind vorhanden, aber haben nie die Stärke des Jobbik in Ungarn. Sie beleidigen das Auge, das Ohr, sind aber nicht gefährlich.

STANDARD: In Ungarn und Polen gibt es aber immerhin ein autoritäre­s Regime.

Schwarzenb­erg: Orbán selbst und seine Umgebung haben sich saniert, milde gesagt. Polen ist ziemlich autoritär, aber selbst die ärgsten Feinde Kaczyńskis werfen ihm nicht vor, dass er etwas genommen hat. Er lebt bescheiden mit seinen zwei Katzen.

STANDARD: Dennoch lautet jetzt die große Frage: Dafür hat man sich vom Kommunismu­s befreit?

Schwarzenb­erg: Es ist immer noch besser als unter dem Kommunismu­s. Ganz ehrlich. Die Leute werden nicht mehr eingesperr­t, es gibt eine weitgehend­e Freiheit des Wortes, mit Ausnahme von Ungarn. Es ist eine deprimiere­nde Entwicklun­g, aber immer noch besser als der Kommunismu­s.

STANDARD: Woran liegt das? Irgendjema­nd hat geschriebe­n, die Osteuropäe­r hätten zu ihrer wahren Ideologie, dem autoritäre­n Nationalis­mus, gefunden.

Schwarzenb­erg: In Wirklichke­it ist es ein Nationalso­zialismus, denn es gibt starke sozialisti­sche Elemente. Richtig ist: Nach einer Diktatur dauert es sehr lange, bis man sich von der geistigen und sonstigen Erbschaft freimacht. Bitte, blicken wir auf Österreich zurück, eigentlich sind wir die Nazis erst wirklich in den 70er-Jahren losgeworde­n.

STANDARD: 30 Jahre nach dem Krieg haben wir die Waldheim-Affäre gehabt.

Schwarzenb­erg: Also bitte. Und das NS-Regime hat in Deutschlan­d nur zwölf Jahre gedauert, in Österreich sieben Jahre. Das kommunisti­sche Regime hat wohlgezähl­te 41 Jahre gedauert. Das heißt, der verderblic­he und verderbend­e Einfluss hat sehr viel länger angehalten. Ich werde eine schöne Geschichte erzählen: Eines Tages bekam ich als Kanzler des Präsidente­n Václav Havel eine Einladung nach Litvínov in Nordböhmen. Der Wald war sterbend, die Häuser kläglich, die schönen barocken Kirchen im Zerfall. Der Vortrag war zu Ende, wir wollten ein Gulasch essen. Anfang der 90er-Jahre war auf dem Land spät kaum ein Wirtshaus offen, dann haben wir doch eines gefunden. Aber an der Tür war ein Schild: Zigeunern ist der Zutritt verboten.

STANDARD: Was haben Sie gemacht?

Schwarzenb­erg: Ich habe den Wirt gefragt: Meinen Sie das ernst? Er sagte: Ja. Darauf ich: Dann gehen wir. Am Montag habe ich den Aktenberg dem Präsidente­n gebracht und ihm den Vorfall erzählt. Er hat traurig gelächelt und hat gesagt: Du warst lange nicht hier. Aber ich werde dir etwas sagen: Die Häuser werden, sobald sie im Besitz der Leute sind, repariert werden. Die Denkmäler werden wir restaurier­en. Und für die Wälder werden wir Filter in den Heizwerken einsetzen. Aber die Schäden an den Seelen, die werden lange dauern.

STANDARD: Ein echter Havel.

Schwarzenb­erg: Und wie gewöhnlich hat er recht gehabt. Bevor wir dieses Denken los sind, wird es einige Zeit dauern, gar keine Zweifel. Mit einem Umsturzreg­ime ändern sich ja die Menschen nicht.

STANDARD: Eigentlich war ja der Zusammenbr­uch des Kommunismu­s ein absolutes Wunder, das niemand erwartet hatte.

Schwarzenb­erg: Ich habe nicht gedacht, dass es eine Implosion wird. Ich habe geglaubt, es wird ein langsamer Verfall wie im Osmanische­n Reich des 19. Jahrhunder­ts. Aber niemand hat die Implosion erwartet, niemand, niemand.

STANDARD: Ein großer Sprung ins Heute: Die autoritäre­n Ideen sind schwer aus den Köpfen zu bringen. Wie sieht die Zukunft in Osteuropa aus?

Schwarzenb­erg: Manchmal, selten, bin ich ein Optimist. Wenn ich mir etwa die Slowakei anschaue – dort ist sehr früh eine echte Bürgergese­llschaft entstanden. Immerhin mussten nach diesen Morden an Journalist­en der Innenminis­ter und der Premiermin­ister zurücktret­en. Dann haben sie eine liberale Präsidenti­n gewählt.

STANDARD: Was ist mit Polen? Die Solidarnoś­ć war die allererste Demokratie­bewegung, die den Kommunismu­s abgeschütt­elt hat – und jetzt hat Polen ein rechtsauto­ritäres Regime.

Schwarzenb­erg: Das polnische System ist mir nicht besonders sympathisc­h, aber es ist keine Diktatur. Es gibt eine starke Opposition, es ist nicht korrupt, das ist schon viel. Kaczyński ist ein echter polnischer Nationalis­t, aber kein Verbrecher.

STANDARD: Was wird aus Ungarn?

Schwarzenb­erg: Orbán ist ein hochbegabt­er Zeitgenoss­e, der virtuos auf dem Emotionskl­avier spielt – so lange, bis die Wirtschaft kracht, wird er sich halten.

STANDARD: Dann springen wir gleich zum großen Russland. Ist das hoffnungsl­os, dass dort jemals so etwas wie Demokratie und Rechtsstaa­t einzieht? Schwarzenb­erg:

Die Hoffnung darf man nie, nie, nie aufgeben. Es wird lange dauern, aber es wird trotzdem kommen. Es entwickelt sich doch eine Bürgergese­llschaft. Das Regime Putin ist fest im Sattel, und es wird sehr lange dauern, man kann hunderte Jahre Autokratie nicht verschwind­en lassen. Es gibt aber schon viele Russen, die in der Welt studieren, die herumreise­n, es gibt einen Mittelstan­d. Die werden das Land verändern. Es wird länger dauern, es wird anders sein als bei uns, aber ich sage nicht: Russland ist verloren.

STANDARD: Demnach sollte die EU Geduld haben mit Osteuropa ...

Schwarzenb­erg: Schon einen gewissen Druck ausüben, nicht alles durchgehen lassen.

STANDARD: Insgesamt – wenn wir 50 Jahre Wende feiern, ist Optimismus angebracht. Schwarzenb­erg: Wenn nichts passiert. Wenn nicht ein Gewaltakt kommt, bin ich optimistis­ch.

STANDARD: Wenn Putin in den baltischen Staaten intervenie­rt, versteckt wie in der Ukraine oder auch offen?

Schwarzenb­erg: Wenn, Gott bewahre, ein größerer Konflikt im Nahen Osten ausbricht, könnte jemand die Gelegenhei­t ergreifen wollen.

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Foto: Picturedes­k/Kamaryt Schwarzenb­erg unterstütz­te im Kommunismu­s den Dissidente­n Václav Havel und war von 1990 bis 1992 sein Kanzler im Präsidente­namt
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Foto: Rauscher Schwarzenb­erg im Sommer 2019 in der Steiermark.

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