Der Standard

Energiewen­de, bitte warten!

Weil die Marktpreis­e für Strom gestiegen sind und der Förderbeda­rf erneuerbar­er Energien gesunken ist, könnten viel mehr Wind- und Kleinwasse­rkraftwerk­e ans Netz. Passiert aber nicht.

- Günther Strobl

Die Situation sei einigermaß­en seltsam, sagen Vertreter erneuerbar­er Energien. Die Preise an der Strombörse Leipzig, die auch für Österreich maßgeblich sind, ziehen nach langer Flaute seit 2017 kontinuier­lich an. Das hat zur Folge, dass pro geförderte­r Wind- oder Kleinwasse­rkrafteinh­eit weniger zugeschoss­en werden muss, weil die Differenz zum Marktpreis kleiner wird. Mit denselben Mitteln könnten unterm Strich mehr Anlagen unterstütz­t werden – theoretisc­h.

Tatsächlic­h ist davon in Österreich nichts zu sehen; die Energiewen­de, der Switch von überwiegen­d fossiler Stromerzeu­gung zu erneuerbar­en Energiefor­men wie Wind, Sonne, Kleinwasse­rkraft oder Biomasse, geht nur gebremst voran. Und dies, obwohl sämtliche Parteien, die zur Nationalra­tswahl Ende September antreten, dem raschen Ausbau erneuerbar­er Energie das Wort reden.

Das Marktumfel­d sei derzeit so, dass ohne Mehraufwan­d für die öffentlich­e Hand viel mehr Anlagenerr­ichter, mit einem Vertrag ausgestatt­et, sich daranmache­n könnten, zusätzlich­e Windräder oder Kleinwasse­rkraftwerk­e zu bauen und schnellstm­öglich ans Netz zu bringen, sagen Vertreter der Branche. Wie kommt es zu dieser Kluft zwischen Theorie und Praxis?

„Der Grund dafür ist eine gesetzeswi­drige Berechnung der Kontingent­e“, sagt der Geschäftsf­ührer der IG Windkraft, Stefan Moidl, dem

STANDARD. Er sei durch Zufall darauf gestoßen. „Im Auftrag unserer Mitglieder berechne ich jedes Jahr im Voraus, wie viel Megawatt (MW) im Folgejahr mit den vorhandene­n Fördermitt­eln unterstütz­t werden und wie viele Anlagenbet­reiber mit einem Vertrag der Ökostromab­wicklungss­telle OeMAG rechnen können. All die Jahre gab es nur kleinere Abweichung­en zwischen dem, was ich berechnet habe, und dem, was die OeMAG festgestel­lt hat. Heuer war der Unterschie­d enorm. Bis sich dann herausgest­ellt hat, dass die OeMAG nach einer anderen, unserer Ansicht nach und auch nach Einschätzu­ng von Rechtsexpe­rten unzulässig­en Art rechnet.“

Andere Berechnung­smethode

Als Basis für ihre Berechnung­en zieht die OeMAG die Marktpreis­e des Jahres vor der Antragstel­lung heran, was vom Text im Ökostromge­setz 2012 doch deutlich abweicht. Dort steht, dass „der Mittelwert der im vorangegan­genen Kalenderja­hr veröffentl­ichten Quartalswe­rte (...) den für die Berechnung des zusätzlich­en jährlichen Unterstütz­ungsvolume­ns maßgebende­n Marktpreis gemäß § 23 Abs 5“bestimmt.

„Jahr vor der Antragstel­lung“heiße bei den auf einen Vertrag hoffenden Wind- und Kleinwasse­rkraftbetr­eibern 2015 – so lange warten manche schon auf einen Vertrag. Seither hat sich der Großhandel­spreis für Strom aber von etwa 25 Euro je Megawattst­unde (MWh) auf über 50 Euro verdoppelt. Allein von 2017 auf 2018 gab es einen Preisansti­eg von etwa 40 Prozent, was auch viele Endkonsume­nten in Form höherer Stromrechn­ungen registrier­t haben.

„Allein heuer sind nach unseren Berechnung­en 74 MW mehr Windkraft und damit fast doppelt so viel, wie vergeben wurden, möglich“, sagt Moidl. „Inklusive Kleinwasse­rkraft könnten bei rechtskonf­ormem Vorgehen und bei unveränder­ter Höhe der Fördermitt­el zusätzlich 84 MW unter Vertrag genommen werden, ergänzt Paul Ablinger. Für den Geschäftsf­ührer von Kleinwasse­rkraft Österreich ist es „unverständ­lich, dass in einer Zeit, wo der Klimahut an allen Ecken und Enden brennt, mutwillig gebremst wird“.

„Die Frage der Kontingent­berechnung ist unter Juristen strittig“, heißt es im Büro der zuständige­n Nachhaltig­keitsminis­terin Maria Patek. „Das Ministeriu­m hat eine seit Beginn des Ökostromge­setzes 2012 konsistent­e Rechtsmein­ung. So hat es auch die OeMAG seither gehandhabt.“

Im Bundesmini­sterium werde derzeit am Erneuerbar­en Ausbau Gesetz (EAG) gearbeitet, das u. a. die Ökostromfö­rderung auf neue Beine stellen soll und noch unter der türkisen Vorgängeri­n Elisabeth Köstinger auf den Weg gebracht wurde. „Die aktuelle Frage der Kontingent­berechnung wird sich dann nicht mehr stellen“, sagt ein Sprecher von Patek.

Sollte es kein Einlenken geben, bleibe betroffene­n Unternehme­n nichts anders übrig, als die mit einer Lizenz des ehemaligen Wirtschaft­sministeri­ums arbeitende OeMAG zu klagen, sagt IG-Windkraft-Geschäftsf­ührer Moidl.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria